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Phytosterole: Cholesterinsenkend und trotzdem atherogen? [361]

Als pflanzliches Pendant zum tierischen Cholesterin wurden und werden Phytosterine als Spitzenreiter der sekundären Pflanzenstoffe gehandelt. Nicht umsonst boomt das Geschäft derjenigen, die Phytosterin-angereicherte Lebensmittel mit dem Versprechen „cholesterinsenkend“ oder „gut fürs Herz“ vertreiben. Dass die Weste der Phytosterine wirklich so weiß ist wie bislang vermutet, daran hegen die Autoren einer aktuellen isländischen Studie nun berechtigte Zweifel.

Die Wissenschaftler konnten mit den Ergebnissen ihrer genetischen Analyse zeigen, dass auch Phytosterine potenziell gefäßschädigend sein können (1). Damit sei die Empfehlung bekannter Fachgesellschaften, Phytosterin-angereicherte Lebensmittel bei mäßig erhöhten Cholesterinspiegeln zu empfehlen, zu hinterfragen, so die Experten (2).


Wissenschaftliche Details

Als Fettbegleitstoff kommt Cholesterin in fettreichen tierischen Lebensmitteln vor, wohingegen alles Pflanzliche cholesterinfrei ist. Auch wir Menschen produzieren selbst Cholesterin, welches im Körper vielfältige Aufgaben hat. Ist der Cholesteringehalt im Blut erhöht, ist das ein Risikofaktor für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Obwohl mittlerweile bekannt ist, dass der Blutcholesteringehalt viel stärker von den gesättigten Fetten als vom Nahrungscholesterin selbst abhängt, wird eine cholesterinarme Ernährung im Rahmen einer herzgesunden Ernährung empfohlen (3).

Phytosterinangereicherte Lebensmittel zur Cholesterinsenkung?

Eine weitere Option, um den Cholesteringehalt zu senken? Phytosterine. Das pflanzliche Pendant zum tierischen Cholesterin kommt vor allem in fettreichen Pflanzen vor, insbesondere in Sonnenblumenkernen, Sesam sowie kaltgepresstem Soja-, Mais- und Rapsöl. In unserem Darm konkurrieren die Phytosterole mit Cholesterin darum, ins Blut aufgenommen zu werden. Das hat zur Folge, dass die Cholesterinaufnahme und letztlich auch der Cholesterinspiegel im Blut reduziert wird, wenn viele Phytosterine aufgenommen werden (4,5).

Klingt fast zu einfach und zu schön, um wahr zu sein, oder? Es gibt allerdings einen Haken: Der Effekt tritt erst bei einer sehr hohen Phytosterinaufnahme ein – je nach Quelle circa 1,5 bis 2 g am Tag (4,6,7). Das ist allein durch Lebensmittel kaum zu schaffen. Es würde bedeuten, etwa 450 Tomaten, 150 Äpfel oder 11 Tassen Erdnüsse zu essen (7).

Die Lösung? Hat die Lebensmittelindustrie selbstverständlich parat. Es handelt sich um sogenannte Functional Foods, in diesem Fall phytosterinangereicherte Lebensmittel. In der EU sind die verschiedensten Lebensmittel zugelassen, die mit Phytosterinen versetzt sind. Das bekannteste ist die Margarine, aber auch Joghurt, Milch und Sojadrinks sowie Gewürz- und Salatsaucen dürfen mit dem sekundären Pflanzenstoff versetzt sein (4).

Die Wirkung der Phytosterine wissenschaftlich untersucht

Der cholesterinsenkende Effekt der Phytosterine wird vielfach beschrieben (4-6), allerdings werden gleichzeitig auch Zweifel daran laut. Den kritischen Stimmen schließen sich die Autoren einer aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung an, in der die Atherogenität von Phytosterinen untersucht wurde. Untersucht wurden knapp 950.000 Blutproben von Menschen aus Island, Dänemark und Großbritannien. Die Forscher konnten zeigen, dass verschiedene Mutationen für einen Anstieg der non-HDL-Cholesterinwerte, aber auch der Phytosterine im Plasma sorgten. Dabei stieg das kardiovaskuläre Risiko bei Letzteren um ein gutes Drittel mehr an als es statistisch durch den Anstieg des non-HDL-Cholesterins zu erwarten gewesen wäre. Die Autoren schlussfolgerten, dass dieses Drittel auf die vermehrte Aufnahme von Phytosterinen aus der Nahrung zurückzuführen war. So liefert die Studie den Forschern zufolge den genetischen Beleg, dass Phytosterine grundsätzlich atherogen sein können (1,2). Die Wissenschaftler resümierten, dass die allgemeingültige Empfehlung für Personen mit erhöhten Cholesterinspiegeln, phytosterinangereicherte Lebensmittel aufzunehmen (8), überdacht werden sollte.

Schon vor knapp 14 Jahren zeigte eine Forschergruppe im Rahmen der PROCAM-Studie einen Zusammenhang zwischen einem Anstieg der Phytosterinwerte im Plasma und einer erhöhten Inzidenz koronarer Ereignisse bei Männern der PROCAM-Kohorte. Hier wurde speziell die Sitosterol-Konzentration sowie das Verhältnis von Sitosterol und Cholesterin im Blut untersucht (9).

Damit einher gehen die Aussagen der Autoren einer Übersichtsarbeit und des Konsensuspapiers der europäischen Atherosklerose-Gesellschaft (engl. European Atherosclerosis Society (EAS)) (10,11). Funktionelle Lebensmittel könnten, so die Experten, bei einem erhöhten Cholesterinspiegel in bestimmten Fällen eingesetzt werden, um das LDL-Cholesterin zu senken. Allerdings sei anzumerken, dass es keine randomisierten, kontrollierten Daten klinischer Studien gibt, die den klinischen Nutzen der Phytosterine belegen, so das EAS-Expertenkomitee (10). Außerdem müssten auch die fehlenden bzw. potenziell sogar nachteiligen Auswirkungen auf das Atherosklerose-Risiko berücksichtigt werden (11).

Fazit: Phytosterinangereicherte Lebensmittel nicht uneingeschränkt empfehlenswert, sondern möglicherweise gefährlich

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass phytosterinangereicherte Lebensmittel in bestimmten Fällen eine gute Möglichkeit sein können, um erhöhte Cholesterinspiegel zu senken. Allerdings mehren sich die Hinweise darauf, dass die bekanntesten Vertreter der sekundären Pflanzenstoffe gleichzeitig das Risiko für koronare Ereignisse erhöhen können. Sollte sich diese Evidenz in Bezug auf phytosterolangereicherte Lebensmittel bestätigen, kann deren Verzehr nicht mehr uneingeschränkt empfohlen werden, sondern ist möglicherweise sogar als gesundheitsgefährdend einzustufen. Weitere Studienergebnisse sind dringend erforderlich, um den Verbraucher nicht zu verunsichern.


Zum Weiterlesen

(1) A. Helgadottir et al. (2020): Genetic variability in the absorption of dietary sterols affects the risk of coronary artery disease. In: European Heart Journal, Vol. 41, Nr. 28, S. 2618-28. Online unter https://academic.oup.com/eurheartj/article/41/28/2618/5875424

(2) J. Sartorius (2020): Studie liefert genetischen Beweis: Auch pflanzliches Cholesterin kann per se atherogen sein. In: MedScape. Online unter https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4909179

(3) Assmann-Stiftung für Prävention (2019): Herzgesund essen. Das Who is Who der herzgesunden Küche. Herzhelfer, Ausgabe 2. Online unter https://www.herzalter-bestimmen.de/wp-content/uploads/2019/11/2_Herzgesund-essen_Das-Who-is-Who-der-herzgesunden-Ku%CC%88che.pdf

(4) Bayrisches Staatsministerium für Umwelt & Verbraucherschutz (2010): Pflanzensterole. Das Bayrische Verbraucherportal. Online unter https://www.vis.bayern.de/ernaehrung/lebensmittel/gruppen/pflanzensterole.htm

(5) Bundeszentrum für Ernährung (2020): Pflanzensterine (Phytosterine). Online unter https://www.bzfe.de/inhalt/pflanzensterine-phytosterine-1553.html

(6) B. Matthäus (2014): Fette & Öle: Grundlagenwissen und praktische Verwendung. In: Ernährungsumschau, 3/2014. Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, Arbeitsgruppe Lipidforschung. Online unter https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2014/03_14/EU03_2014_M162_M170_fortbildung.pdf

(7) N. von Lutterotti (2020): Der Kollateralschaden für Vegetarier. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.08.2020. Online unter https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/cholesterin-und-fette-der-kollateralschaden-fuer-vegetarier-16919801.html

(8) F. Mach et al. (2019): 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidemias of the European Society of Cardiology and European Atherosclerosis Society (EAS). In: European Heart Journal, Vol. 41, Nr. 1, S. 111-188.

(9) G. Assmann et al. (2006): Plasma sitosterol elevations are associated with an increased incidence of coronary events in men: Results of a nested case-control analysis of the Prospective Cardiovascular Münster (PROCAM) study. In: Nutrition, Metabolism & Cardiovascular Diseases, Vol. 16, S. 13-21. Online unter https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0939475305000815

(10) H. Gylling et al. (2014): Plant sterols and plant stanols in the management of dyslipidemia and prevention of cardiovascular disease. In. Atherosclerosis, Vol. 232, Nr. 2, S. 346-60.

(11) J. Rysz et al. (2017): The Use of Plant Sterols and Stanols as Lipid-Lowering Agents in Cardiovascular Disease. In: Current pharmaceutical design, Vol. 23, Nr. 17, S. 2488-95.

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