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Mehr Gesundheit durch mehr Vorgaben? Zur Problematik von Verhältnisprävention bei Lebensstiländerungen [83]

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen und Diabetes  sind in erster Linie auf vier gemeinsame Risikofaktoren zurückzuführen, nämlich übermäßiger Tabak- und Alkoholkonsumkonsum,  ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel. Diese Einschätzung bekräftigte kürzlich ein UN-Gipfel zur umfassenden Bewertung der Prävention und Kontrolle von nicht übertragbaren Krankheiten (1). In der das Meeting abschließenden UN-Deklaration wurden die Teilnehmerländer aufgefordert, durch nationale Programme Bedingungen zu schaffen, die die Risiken für nicht übertragbare Krankheiten erheblich mindern. Letztendlich sollen gerade (verordnete) Lebensstiländerungen dazu beitragen, Gesundheit zu erhalten und den Beginn von Erkrankungen so lang wie möglich hinauszuzögern. Die WHO-Präsidentin mahnt begleitend dazu an, dass in der Gesundheitspolitik noch zu sehr in Krankheiten, statt in der Verhinderung von Krankheiten gedacht wird.

Während der UN-Debatte schilderten Ländervertreter verschiedene Maßnahmen in der Verhältnisprävention – Anm.: zielt nicht auf das Verhalten des Einzelnen, sondern auf die Verhältnisse, in denen der Mensch lebt – insbesondere im Bereich der Fehl- und Überernährung (2). Mehrere südamerikanische Länder hätten u.a. mit der Brotindustrie Vereinbarungen getroffen, den Salzgehalt stufenweise zu reduzieren (3). Einige Staaten, darunter Frankreich, Finnland, Mexiko und Ungarn hätten außerdem verschiedene Formen der Zucker-Fettsteuer eingeführt.  Andere Länder, wie zum Beispiel Norwegen und Schweden, verbieten an Kinder gerichtete Fernsehwerbung oder auch, wie z.B. Australien, alle Formen der Tabakwerbung einschließlich Sponsoring.

Impulse des UN-Gipfels sind in Deutschland öffentlichkeitswirksam vor allem von der Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) aufgegriffen worden, die in einer eigens organisierten Tagung die Gelegenheit nutzte, um noch einmal auf die Dringlichkeit eines Nationalen Diabetesplanes hinzuweisen (4). Gegenstand der Diskussionen aber waren vor allem auch Fragen nach dem Sinn und der Wirksamkeit von Maßnahmen der Verhältnisprävention bei Lebensstiländerungen, die im Ansatz weit über die Diabetesprävention hinausgehen.

In den Fokus der Erörterungen gerieten dabei insbesondere der relativ geringe Verkaufspreis von sehr zuckerhaltigen Nahrungsmitteln, der hohe Werbeetat der Lebensmittelindustrie und die Intransparenz auf dem deutschen Lebensmittelmarkt.

Sinkende Verkaufszahlen von Zigaretten und Alkopops liefern Anhaltspunkte dafür, dass es gelingen kann, mit Steuererhöhungen gesundheitsbewusstes Verhalten einzufordern und zu erleichtern: Alkopops seien fast ganz vom Markt verschwunden und der Zigarettenkonsum von Jugendlichen habe sich in den letzten zehn Jahren nach drastischen Tabaksteuererhöhungen halbiert. Aus der Sicht des Geschäftsführers der DDG wäre es daher sinnvoll, den vollen Mehrwertsteuersatz nicht mehr nur auf Luxusgüter zu erheben, sondern auch auf  besonders kalorienreiche, ballaststoffarme Produkte, wie etwa Fast Food, Chips und für sehr zuckerhaltige Getränke. Gleichzeitig könnten im Gegenzug gesunde Lebensmittel steuerlich entlastet werden. Den Argumenten der Kritiker von Steuererhöhungen auf ungesunde Lebensmittel, gegeben etwa mit den Schlagworten Zwangsabgabe und Bevormundung von Konsumenten, stehe entgegen, dass der Verbraucher ohnehin im hohen Maße durch Werbung manipuliert werden würde. Für Süßwaren stünden aus der Lebensmittelindustrie hundertmal so viele Werbegelder zur Verfügung wie für Obst und Gemüse. Transparenz und Seriosität auf dem Lebensmittelmarkt, zu der eine leicht verständliche und verbindliche Kennzeichnung aller Produkte gehört, würden selbstbestimmte und gesundheitsbewussten Entscheidungen der Konsumenten erleichtern. Lebensmittelampeln etwa enthalten nicht nur den Hinweis auf Verzehrgebote und Verbote, sondern auch weiterführende Begleitinformationen.

Doch bei allen guten Vorsätzen, Lebensstiländerung allein verhindert nicht immer den Beginn einer Erkrankung  –  darauf verweist aus ärztlicher Sicht der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Hinzu kommt, dass der menschliche Organismus sehr individuell auf Störfaktoren und ebenso auf gesundheitsförderliche Aktionen reagiert. Auch ethisch gesehen, ist eine ausschließlich der Verhältnisprävention verpflichtete Gesundheitspolitik nicht unproblematisch. Gelänge es z.B. nicht, populationsbezogen Diabetes zu verhindern, würde die Schuld daran vorschnell dem Erkrankten zugeschrieben oder auf eine Präventionsverweigerung von spezifischen Bevölkerungsschichten geschlossen. Primärprävention durch Lebensstiländerung verlaufe bislang auch noch zu ineffizient. Statistisch betrachtet, müssten sieben Hochrisikopatienten für Typ 2-Diabetes  über mehrere  Jahre präventiv behandelt werden, um bei einen den Diabetes verhindern zu können.  Nötig seien daher neben Maßnahmen in der Verhältnisprävention vermehrte Anstrengungen auf dem Gebiet der personalisierten Prävention (5). Es gehe darum, unterschiedliche Krankheitsverläufe zu verstehen und zu berücksichtigen und sich dem mit hohem Krankheitsrisiko oder auch schon mit hoher Krankheitslast behafteten Personenkreis differenzierter  zuzuwenden.  Diesen sollten individuelle Präventionsmaßnahmen angeboten werden, die ihre individuellen Krankheitsmechanismen spezifisch ansprechen.

Zum Weiterlesen:

  1. UN. General Assembly GA/11530. 2014/07/10 General Assembly High-Level Meeting on Non-Communicable Diseases Urges National Targets, Global Commitments to Prevent Needless Loss of Life. Abrufbar über  http://www.un.org/News/Press/docs/2014/ga11530.doc.htm und über  http://www.who.int/nmh/events/2014/wpro-ncds.pdf
  2. Ziel der Verhältnisprävention ist die gesundheitsförderliche Veränderung von ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen oder die die Verringerung und die Beseitigung von Krankheitsursachen in der Lebens- und Arbeitswelt, wie z.B. durch die Veränderung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben (betriebliche Gesundheitsförderung) sowie durch überregionale, nationale und internationale Aktivitäten in den Bereichen des Gesundheits- ,Umwelt- und des Verbraucherschutzes. Im Unterschied dazu richtet sich Verhaltensprävention auf die Veränderung des individuellen Lebensstiles, wie z.B. gesunde Ernährung, körperliche Bewegung und die Reduzierung des gesundheitsriskanten Verhaltens wie z.B. Rauchen, Alkoholmissbrauch und falsche Ernährung. Vgl. die Begriffsbestimmungen unter http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/praevention.php
  3. Zum Einstieg: Assmann-Stiftung für Prävention. Salz in der Prävention von chronischen Krankheiten. Abrufbar unter: https://www.assmann-stiftung.de/salz-der-praevention-von-chronischen-krankheiten-67/
  4. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Presse/Pressemappe_PDF_DDG_PK_UN-Fortschrittsgipfel.pdf
  5. Zum Einstieg: Assmann-Stiftung für Prävention. Personalisierte Prävention. Abrufbar unter: https://www.assmann-stiftung.de/personalisierte-pravention/

 

 

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