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Zur Primärprävention von Demenzen in der aktualisierten S3-Leitlinie [119]

Demenzerkrankungen können bislang noch immer nicht auf direktem Wege vermieden werden, so lautet das Fazit der Herausgeber der aktualisierten Leitlinie Demenzen nach einer fünfjährigen Überarbeitungsphase. Gelingt es jedoch, Belastungen für Herz und Hirn aufgrund von Bluthochdruck, Diabetes, Fettsucht und Fettstoffwechselstörungen sowie Rauchen zu verringern, kann auch der Abbau von geistigen und sozialen Fähigkeiten hinausgezögert oder vermieden werden. Regelmäßige körperliche Bewegung, aktiv gelebte Beziehungen, kulturelles Engagement usw. tragen genauso dazu bei wie eine ausgewogene Ernährung mit reichlich Fisch, wie beispielsweise in der Mittelmeerküche enthalten. Ginkgo hilft bei Behandlung, nicht aber bei der Prävention von Demenzerkrankungen. Die günstige Wirkung von Gedächtnistraining lässt sich nicht belegen. Moderater Alkoholgenuss kann zwar dazu beitragen, Hirnfunktionsstörungen zu vermeiden, ist aber aufgrund der im Alkohol enthaltenen Giftstoffe keine Option. Medikamente, die Demenzen wirksam vermeiden können, sind noch nicht entwickelt. Die Primärprävention von Demenzen bleibt eine riesige Aufgabe für die Forschung und möglicherweise müssen alternative Ansätze mit in Erwägung gezogen werden, um dieser Herausforderung erfolgreich begegnen zu können.


Wissenschaftliche Details

Konkrete Maßnahmen zur Primärprävention von Demenzerkrankungen können noch nicht empfohlen werden, so die Herausgeber der aktualisierten S3-Leitlinie Demenzen vom Januar 2016 (1). Studien, die diesbezüglich durchgeführt wurden, erstrecken sich möglicherweise auf einen zu kurzen Zeitabschnitt. Hingegen sei in epidemiologischen Langzeitstudien belegt, dass eine Begrenzung von kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas und Rauchen auch das Risiko für Demenzerkrankungen, insbesondere auch für die Alzheimer-Demenz, verringern kann (2;3). Die Prävention und die Behandlung von Herz- und Gefäßerkrankungen tragen daher zugleich zur  Primärprävention einer Demenz bei. Da die kardiovaskulären Risikofaktoren sich in der Lebensmitte manifestieren, sollen Präventionsempfehlungen gegen Demenzen ab dem mittleren Lebensalter gelten, wobei der Verzicht auf Rauchen als ein eigenständiger Parameter zu behandeln ist:

Regelmäßige körperliche  Bewegung und ein aktives geistiges und soziales Leben helfen ganz allgemein dabei, Demenzerkrankungen zu verzögern bzw. zu vermeiden.

Ernährungsvielfalt mit Fisch, wie beispielsweise in der mediterranen Kost enthalten, wird ebenso generell zur Minderung des Erkrankungsrisikos empfohlen (4).  Doch erlaube es die aktuelle Datenlage bislang nicht, detailliertere Ernährungsempfehlungen abzuleiten, die über eine ausgewogene Ernährung, auch zur Vermeidung von Übergewicht, hinausgehen.

Regelmäßiger Alkoholkonsum wird nicht zur Prävention einer Demenz befürwortet, insbesondere aufgrund der toxischen Eigenschaften des Alkohols und der Gefahr von Abhängigkeit. Protektive Effekte bei leichtem bis moderatem Alkoholkonsum hatten einige Studien aufgezeigt (5).

Ginkgo biloba kann zwar bei der Therapie einer leichten bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz sowie vaskulärer Demenzen eingesetzt werden. Zur Prävention von Demenzen wird Ginkgo biloba allerdings nicht empfohlen, da der Pflanzenextrakt in einer prospektiven, randomisierten  Studie zur Vermeidung  von  Demenzerkrankungen keine Wirkung zeigte (6).

Belege für eine Primärprävention mit Hilfe spezieller Demenzmedikamente gibt es derzeit noch nicht bzw. seien auch in naher Zukunft nicht zu erwarten. Da Studien auf die Erhöhung des Demenzrisikos durch die Einnahme von Hormonersatzpräparaten hinweisen, wird die Hormontherapie zur Prävention von Demenz nicht empfohlen (7).

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) haben nach einer fünfjährigen Überarbeitungsphase die aktualisierte S3-Leitlinie Demenzen gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften im Januar 2016 veröffentlicht.

Die evidenz- und konsensusbasierten Aussagen der Leitlinie betreffen neben Aspekten der Prävention die Diagnostik und Therapie von Alzheimer-Demenz, vaskulärer Demenz, gemischter Demenz, frontotemporaler Demenz, Demenz bei der Parkinson-Krankheit und der Lewy-Körperchen-Demenz.
Sie beinhalten neue symptomorientierte Ansätze, die zur Verbesserung der kognitiven und emotionalen Lebensqualität der Demenzpatienten beitragen sowie das Fortschreiten der Erkrankung verzögern:

Erstmals werden in einem Therapiekonzept validierte psychosoziale Maßnahmen als gleichrangig zum Einsatz von erprobten Medikamenten eingestuft. Das gilt in erster Linie für die alltagsnahe kognitive Stimulation und für eine individuell angepasste Ergotherapie, aber auch für Musik- und Aromatherapie und für multisensorische Verfahren wie Snoezelen. Demenzpatienten sollen sehr individuell behandelt und betreut werden – und das am besten im heimischen Umfeld.
Der Nutzen von Gedächtnistraining ist nicht mit ausreichender Evidenz belegt.

Neu ist ebenso der evidenzbasierte Einsatz eines Ginkgo-biloba-Extrakts (EGb 761) zur Therapie leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz sowie vaskulärer Demenz mit einer Wirkstoffdosis von 240 mg pro Tag.
Bestätigt wird die Wirksamkeit von Acetylcholinesterase (AChE)-Hemmern im leichten bis mittleren Stadium der Alzheimer-Demenz, um Kognition und Alltagskompetenz der Patienten günstig zu beeinflussen.
Negativempfehlungen werden dagegen ausgesprochen für die Therapie mit nicht-steroidalen Antiphlogistika, mit Nootropika, mit Vitamin E sowie mit Hormonersatzmitteln bei Frauen nach der Menopause.

Die Früherkennung von Demenzerkrankungen sei mit Hilfe kognitiver Kurztests (z. B. MMST, DemTEct, TFDD), liquorbasierter neurochemischer Demenzdiagnostik und mit bildgebenden Verfahren (Amyloid-PET-Befund) bis zu einer Wahrscheinlichkeit von 85 bis 90 Prozent möglich, wenn Beeinträchtigungen schon vorliegen.
Weder kognitive Tests noch apparative diagnostische Verfahren werden empfohlen, wenn keine Symptome vorhanden sind, die auf Demenzen hinweisen.

Die aktualisierte Leitlinie richtet sich nicht nur an Mediziner, sondern sie bietet Orientierung auch für andere Berufsgruppen, die Demenz-Patienten unterstützen, also Psychologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Musik-, Kunst- und Tanztherapeuten, Logopäden, Pflegekräfte und Sozialarbeiter. Die Herausgeber der Leitlinie Demenzen verweisen in diesem Zusammenhang auch auf den immensen personellen Aufwand, der nötig ist, Demenzpatienten leitliniengemäß zu versorgen und der angesichts der aktuellen Betreuungssituation in Deutschland fast utopisch erscheint. Umso mehr bleibt die Herausforderung bestehen, Möglichkeiten einer Primärprävention von Demenzerkrankungen zeitnah zu erschließen.


Zum Weiterlesen

(1) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2016): S3-Leitlinie “Demenzen”. Online unter http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf

(2) M. Kivipelto, A. Solomon: Alzheimer’s disease – the ways of prevention. In: Journal of Nutrition, Health and Aging, Vol. 12, Nr. 1, 89S-94S. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18165854

(3) A. Alonso et al. (2009): Cardiovascular risk factors and dementia mortality: 40 years of follow-up in the Seven Countries Study. In: Journal of the Neurological Sciences, Vol. 280, Nr. 1-2, S. 79-83. Online unter https://www.jns-journal.com/article/S0022-510X(09)00057-4/fulltext

(4) C. Féart et al. (2009): Adherence to a Mediterranean diet, cognitive decline, and risk of dementia. In: Journal of the American Medical Association, Vol. 302, Nr. 6, S. 638 – 648. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19671905

(5) G. Xu et al. (2009): Alcohol consumption and transition of mild cognitive impairment to dementia. In: Psychiatry and Clinical Neurosciences, Vol. 63, Nr. 1, S. 43-49. Online unter https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1440-1819.2008.01904.x

(6) S.T. DeKosky et al. (2008): Ginkgo biloba for prevention of dementia: a randomized controlled trial. In: Journal of the American Medical Association, Vol. 300, Nr. 19, S. 2253-2262. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2823569/

(7) S.A. Shumaker et al. (2003): Estrogen plus progestin and the incidence of dementia and mild cognitive impairment in postmenopausal women: the Women’s Health Initiative Memory Study: a randomized controlled trial. In: Journal of the American Medical Association, Vol. 289, Nr. 20, S. 2651-2662. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12771112

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