Sowohl der systolische als auch der diastolische Blutdruckwert sind aussagekräftig, um die Herz-Kreislaufgesundheit zu bewerten. Dies berichtet jetzt ein US-amerikanisches Forscherteam im New England Journal of Medicine mit Bezug auf eine retrospektive Studie aus Nordkalifornien, in die 1,3 Millionen Erwachsene einbezogen worden waren (1). Aus den Analysen ging hervor, dass systolische und diastolische Blutdruckwerte unabhängig voneinander auf das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hinweisen können. Ob der Bluthochdruck anhand des europäischen Schwellenwertes von 140/90 mmHg (2) oder anhand des US-amerikanischen Grenzwertes von 130/80 mmHg (3) definiert wurde, beeinflusste das Ergebnis kaum. Obwohl die systolische Blutdruckerhöhung eine größere Aussagekraft über das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen hat, sollte der diastolische Blutdruckwert nicht ignoriert werden, raten die Experten aus Oakland und Boston.
Wissenschaftliche Details
Lange Zeit wurde nur der systolische Blutdruck herangezogen, um die Gefahr für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall in Abhängigkeit vom Bluthochdruck zu berechnen (4). Eine kürzlich im New England Journal of Medicine publizierte retrospektive Kohortenstudie aus Nordkalifornien liefert nun einen Beleg dafür, dass auch der diastolische Blutdruckwert in die Risikoabschätzung einbezogen werden sollte (1). Die von Kardiologen und Neurologen in den Forschungseinrichtungen des Versicherers Kaiser Permanente Northern California in Kalifornien und der Harvard Medical School in Boston durchgeführten Untersuchungen berücksichtigten Blutdruckmessungen und weitere Gesundheitsdaten von 1,3 Millionen Erwachsenen über einen Beobachtungszeitraum von 8 Jahren.
Ihre Analysen ergaben, dass systolische und diastolische Blutdruckwerte unabhängig voneinander auf das Risiko für einen Herzinfarkt, einen ischämischem oder einen hämorrhagischem Schlaganfall hinweisen können. Ob dabei der Bluthochdruck über den europäischen oder den US-amerikanischen Schwellenwert (≥140/90 mm Hg oder ≥130/80 mm Hg) definiert worden war, beeinflusste die Hochrechnungen kaum[1].
Der Zusammenhang zwischen dem diastolischen Blutdruck und dem Herzinfarkt- bzw. Schlaganfallrisiko ließ sich in einer J–Kurve darstellen; die jeweils niedrigsten und höchsten diastolischen Blutdruckwerte zeigten ein ansteigendes Risiko für unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse an. Diese Beziehung war zumindest teilweise durch das Alter und andere Kovariablen erklärbar. Die Autoren empfehlen, den diastolischen Blutdruck nicht wie bislang weitgehend zu ignorieren, sondern als Parameter in die Beurteilung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen miteinzubeziehen.
Kommentar der Stiftung: Die Forschung der letzten Jahrzehnte im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat gezeigt, dass das Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko nicht etwa auf Basis eines einzelnen Risikofaktors bestimmt werden kann, sondern das Gesamtrisiko unter Berücksichtigung mehrerer Risikofaktoren abgeschätzt werden muss. Eine Option, um das Globalrisiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall abzuschätzen, sind die PROCAM-Tests. Sie basieren auf Algorithmen, die aus den Studienergebnissen einer der größten Beobachtungsstudien weltweit entwickelt wurden. Die Risikobestimmung für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall mittels der PROCAM-Tests erlaubt die Früherkennung eines Erkrankungsrisikos und eröffnet damit Chancen für eine rechtzeitige Prävention, insbesondere bei Hochrisikopersonen, die oft noch klinisch beschwerdefrei sind (5,6).
Zum Weiterlesen
(1) A.C. Flint et al. (2019): Effect of Systolic and Diastolic Blood Pressure on Cardiovascular Outcomes. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 381, S. 243-251. Online unter https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1803180?query=featured_home
(2) B. Williams et al. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. In: European Heart Journal, Vol. 39, Nr. 33, S. 3021-3104. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30165516
(3) P.K. Whelton et al. (2018): ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA guideline for the prevention, detection, evaluation, and management of high blood pressure in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. In: Hypertension, Vol. 71, Nr. 6, S. 1269-1324. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29133354
(4) A.S. Brett, H.M. Krumholz (2019): Associations Between Systolic and Diastolic BP and Cardiovascular Outcomes. In: The New England Journal of Medicine Journal Watch, 17. Juli 2019. Online unter https://www.jwatch.org/na49485/2019/07/17/associations-between-systolic-and-diastolic-bp-and
(5) International Task Force for Prevention of Coronary Heart Disease und International Atherosclerosis Society (2009): Handbuch Prävention der koronaren Herzkrankheit. Thomson Reuters.
(6) Assmann-Stiftung für Prävention (2019): Über die PROCAM-Studie. Online unter https://www.assmann-stiftung.de/procam-studie/
Fußnote(n)
[1] Systolische Hypertonie (≥ 140 mm Hg): Hazard Ratio (HR) = 1,18 pro Anstieg des z-Score um eine Einheit
Systolische Hypertonie (≥ 130 mm Hg): HR = 1,18 pro Erhöhung des z-Score um eine Einheit
Diastolische Hypertonie (≥ 90 mm Hg): HR = 1,06 pro Erhöhung des z-Score um eine Einheit
Diastolische Hypertonie (≥ 80 mm Hg): HR = 1,08 pro Erhöhung des z-Score um eine Einheit