Sinkt die Sterblichkeitsrate weltweit so weiter wie in den letzten Jahren, dann könnte im Jahr 2030 eine Verringerung der vorzeitigen Todesfälle um 40 % erreicht werden (1). Vorausgesetzt, Kriege und Epidemien bleiben in der Zukunft aus, sei im hohen Alter der Tod unvermeidlich, aber der vorzeitige Tod nicht.
Mit dieser optimistischen Hochrechnung unterstützen norwegische Wissenschaftler gegenwärtige Anstrengungen der UN, für die internationale Entwicklungspolitik im Zeitraum zwischen 2016 – 2030 strategisch nachhaltige Ziele (Sustainable Development Goals, SDG) zu definieren. Der UN-Entwurf sieht bislang Vorhaben vor, die der „Sicherung eines gesunden Lebens“ und der „Förderung des Wohlergehens in allen Altersgruppen“ dienen sollen. Dazu zählen neben Regelungen für den Zugang zu Krankenversicherungen und bezahlbaren Behandlungen für alle, insbesondere Maßnahmen zur Minderung der vorzeitigen Sterblichkeit. Gesundheitspolitiker diskutieren derzeit intensiv, wie sich diese allgemeine Zielvorgabe in quantifizierbare und damit abrechenbare Abschnitte gliedern lässt. Bislang benannte Teilziele, wie beispielsweise bis zum Jahr 2030 die Kinder- und Müttersterblichkeit um zwei Drittel im Vergleich zu 2010 zu mindern oder etwa ein Drittel der durch übertragbare Krankheiten, Unterernährung oder Verletzungen bedingten Todesfälle zu vermeiden, werden äußerst kontrovers bewertet. Sie erscheinen zwar auf dem ersten Blick politisch plausibel und ethisch wünschenswert, doch reichen weder die finanziellen Mittel noch der tatsächliche Handlungsspielraum vor Ort aus, um die ehrgeizigen Pläne bis zum Jahr 2030 vollständig umzusetzen (2).
Entsprechend den norwegischen Modellrechnungen kann die vorzeitige Sterblichkeit bis 2030 realistisch insgesamt um 40 % verringert sein (3). Das Ziel wäre in allen Ländern erreichbar, jedoch auf unterschiedlichen Wegen und entsprechend den nationalen Gegebenheiten mit wechselnden Prioritäten. Aus den nationalen Sterberaten, die je nach den in Betracht gezogenen tödlichen Erkrankungen und Verletzungsarten sowie deren Risikofaktoren in unterschiedlichen Altersgruppen sowie nach den Einkommensverhältnissen variieren, sind änderspezifische Empfehlungen für die künftige Gesundheitspolitik abgeleitet:
Länder mit überdurchschnittlich hohen Sterbezahlen an HIV, wie z.B. Südafrika und Thailand, oder an Alkoholmissbrauch, wie z.B. Russland, können den Fokus primär auf die Bekämpfung dieser Erkrankungen richten, um vorzeitigen Tod vermeiden zu helfen. Staaten, in denen eine sehr hohe Zahl von tödlichen Erkrankungen mit Rauchen in Zusammenhang steht, etwa China und Indien, haben gerade in diesem Bereich gesundheitsförderliche Ansatzpunkte.
In Ländern mit niedrigem Einkommen liegt der Anteil der vorzeitigen Todesfälle in der frühen Kindheit zum Teil sehr hoch, so dass Fortschritte durch Gesundheitsförderung gerade in diesem Gebiet zu erwarten sind (4).
Länder mit hoher Sterblichkeit bei unter 50-Jährigen, wie z.B. Äthiopien, können vor allem effektiv Maßnahmen fördern, um die Fallzahlen des durch übertragbare Erkrankungen, durch Unfallverletzungen und durch die Gefährdung von Mutter und Kind bedingten, frühen Todes, zu reduzieren.
Länder mit niedriger Sterblichkeit bei den unter 50-Jährigen, wie z.B. Mexiko oder westeuropäische Nationen, sollen sich primär auf Investitionen zur Minderung der durch nichtübertragbare Krankheiten bedingten Sterbefälle in der Gruppe der 50- bis 69-Jährigen fokussieren.
Bei Empfehlungen für Europa stützen sich die norwegischen Wissenschaftler auf Ergebnisse einer Modellstudie mit ähnlichem Anspruch (5). Deren international zusammengesetzte Autorengruppe aus dem Umfeld der WHO zeigt, wie die Raten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes um 25 % gesenkt werden können, wenn allein der Tabak-, Alkohol- und der Salzkonsum eingeschränkt und wirksame Maßnahmen gegen die Risikofaktoren Bluthochdruck, krankhaftes Übergewicht und erhöhte Blutzuckerwerte gezielt umgesetzt werden. Gelingt es, sich auf die genannten Risikofaktoren für vorzeitigen Tod durch die beschriebenen, hauptsächlich nichtübertragbaren Krankheitsgruppen zu konzentrieren, dann sinken nach Ansicht der Wissenschaftler die Sterberaten doppelt so schnell wie im Trend bislang beobachtet.
In der Quintessenz könnten bis 2030 über 37 Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden werden.
Zum Weiterlesen
- O.F. Norheim et al. Avoiding 40% of the premature deaths in each country, 2010—30: review of national mortality trends to help quantify the UN Sustainable Development Goal for health. The Lancet, Early Online Publication, 19 September 2014. Doi:10.1016/S0140-6736(14)61591-9
- Vgl. Assmann-Stiftung für Prävention. Das Copenhagen Consensus Projekt und die Gestaltung der post-2015 Entwicklungsagenda [82]. Abrufbar über https://www.assmann-stiftung.de/das-copenhagen-consensus-projekt-und-die-gestaltung-der-post-2015-entwicklungsagenda-82/
- Nach (1) entfallen die Raten für die vorzeitige Sterblichkeit in der Dekade 2001 – 2010 wie folgt: 34% auf die Altersgruppe von 0-4 Jahren; 17% auf die Altersgruppe von 5-49 Jahren; 15% auf die Altersgruppe von 50-69 Jahren; 30% auf übertragbare Krankheiten, Fehlernährung sowie Säuglings- und Kindersterblichkeit 14% auf nichtübertragbare Krankheiten und 13% auf Verletzungen (Unfall, Selbstmord, Mord oder) Vorzeitige Sterblichkeit wird definiert als die Wahrscheinlichkeit des Sterbens im Alter bis 70 Jahren.
- Vgl. Assmann-Stiftung für Prävention. Präventive Maßnahmen zur Reduzierung der Kindersterblichkeit – Neue Ergebnisse der Global Burden of Disease Study (GBD 2013) [69]. Abrufbar über: https://www.assmann-stiftung.de/praeventive-massnahmen-zur-reduzierung-der-kindersterblichkeit-69/
- V. Kontis. Contribution of six risk factors to achieving the 25×25 non-communicable disease mortality reduction target: a modelling study. Lancet. 2014 Aug 2; 384(9941):427-37.Doi: 10.1016/S0140-6736(14)60616-4.