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Strategiemodelle gegen den Hunger [81]

Ausreichend Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung  zu  erzeugen, ohne die Land- und Wasserressourcen der Erde noch mehr zu strapazieren – dies scheint nach dem in der Zeitschrift „Science“ publizierten Konzept einer deutsch-amerikanischen Forschergruppe keine Utopie mehr (1).
Die wissenschaftlichen Ideen zur nachhaltigen und umweltschonenden Sicherung der Lebensmittelversorgung in der Welt gründen sich auf dem Prinzip der Ökonomie der Kräfte, nämlich punktuell genau dort zu investieren, wo mit einem geringen Einsatz ein größtmöglicher Effekt zu erzielen ist. So beschreiben die Wissenschaftler um Stefan Siebert (Universität Bonn) und Paul C. West (University of Minnesota) spezifische Maßnahmen zum effektiven Anbau der 17 weltweit wichtigsten Feldfrüchte abgeleitet aus den konkreten geografischen Besonderheiten von landwirtschaftlich und umwelttechnisch besonders wichtigen Regionen, um Empfehlungen für eine intelligente Reform der internationalen Landwirtschaftspolitik vorzustellen.

Ernteerträge lediglich dort erhöhen, wo der meiste Zuwachs zu erwartet ist
Unstrittig können verbesserte Technologien den Ernteertrag überall vergrößern, doch fällt der Effekt in verschiedenen Regionen der Erde auch deshalb unterschiedlich aus, weil reichere Länder ihr Potential  fast ausgeschöpft haben. So wird z.B. auf landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland schon zu 80 – 90  % geerntet, was Klima und Boden hergeben. Umgekehrt konzentriert sich die Hälfte des unausgeschöpften Potentials des Bodens auf lediglich 5 % Weltanbaufläche.

In Afrika, Asien und Osteuropa erwirtschafteten die Bauern oft nur zehn Prozent dessen, was mit besseren Anbaumethoden, etwa mit einer effizienteren Bewässerung und vor allem mit einer ausreichenden Düngung der Felder möglich wäre.

Gelingt es, in den genannten Regionen den Ertrag von derzeit 10 % auf 50 % bis zum Jahr 2050 zu steigern, könnten damit 780 Millionen Menschen zusätzlich ernährt werden. Ein Weg dahin bietet sich an in der geografischen Verschiebung des Überschusses von Ressourcen, wie insbesondere an Düngemittel, in solche Regionen, in denen es daran mangelt.
Die Studie ergab, dass weltweit 60 % der Stickstoff- und fast 50 % der Phosphoranwendungen darüber hinausgehen, was Pflanzen brauchen, um zu wachsen. China, Indien und die USA überdüngen beim Anbau von Reis, Weizen und Mais am häufigsten die Felder. Stünde ein Teil dieser überschüssigen Chemikalien den Bauern in Afrika, Osteuropa  und Südostasien zur Verfügung, wäre auf den nährstoffarmen Böden eine Ertragssteigerung möglich auch in Regionen, wo Wassermangel zu kargen Ernten beiträgt.

Die Zucht von Reis und Weizen erzeugt in Indien, Pakistan, China und den USA weltweit den größten Bedarf an Bewässerung in wasserlimitierten Gebieten. Doch ist das Einsparpotential auch dort längst nicht ausgeschöpft. Mit einer Steigerung der Effizienz des für die Pflanzenzucht benötigten Wassers könnte, so die Wissenschaftler, der Bedarf um 8 bis 15 Prozent bei gleicher Ertragsmenge mehr gedeckt werden. Z.B. müssten Reispflanzen nur wenn sie noch klein sind, stark bewässert werden. Würde dies beachtet, könnte leicht sehr viel Wasser bei der Reiszucht eingespart werden.

Agrarland mehr für die menschliche Ernährung nutzen
Die Forscher kritisieren zudem, dass weltweit pflanzliche Lebensmittel immer seltener für den Verzehr durch Menschen verwendet  werden. Lediglich zu 20 % nutzen die USA, China, Westeuropa und Brasilien ihre Ackerflächen zur Erzeugung von Nahrungsmitteln für Menschen, in Deutschland sind es rund 40 %. Auf dem überwiegenden Teil der landwirtschaftlichen Flächen werden Pflanzen für Bioenergie und für Viehfutter angebaut. So geben vor allem die  USA, China und Westeuropa mit Mais die Haupternte an Tiere weiter. Auch wenn politische und kulturelle Gegebenheiten kaum Spielraum für eine Kursänderung erkennen lassen, weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Futterpflanzen als eine Art Sicherheitsreservoir für die menschliche Ernährung dienen könnten, wenn es aufgrund von wetterbedingten Naturkatastrophen und massiven Schädlingsbefall zu einer nachhaltigen Nahrungsverknappung käme.

Die Kalorien, die derzeit mit Pflanzen an Tiere verfüttert werden, würden ausreichen, um den Kalorienbedarf von 4 Milliarden Menschen zu decken. Zwar werden Tiere in der Regel auch, aber nur anteilig verzehrt, denn nicht alle tierischen Bestandteile lassen sich in Fleisch, Milch und Eier umwandeln.  Stattdessen kostet die Produktion einer tierischen Kalorie momentan mehr als drei pflanzliche Kalorien; ökonomisch gesehen ein Verlust von 70 %.

Entlastung im ökonomischen und ökologischen Sinne würde eine Verringerung des Tierbestandes, eine “Verringerung der Tierdichte“, mit sich bringen, auch in Deutschland.

Die Forscher fordern zudem, die Umwandlung der Regenwälder in Acker- und Weideland zu stoppen. Das Abholzen der Regenwälder gerade in Brasilien und in Indonesien betrug in den Jahren 2000 bis 2012 mit 34 % bzw. 17 % mehr als die Hälfte des weitweiten Verlustes. In Brasilien weicht der Regenwald meist zugunsten von Sojaanbau mit geringen Erträgen und Viehweiden und  in Indonesien entstehen riesige Palmölplantagen, deren Erträge wiederum in die Produktion von Bioenergie fließen – mit gravierenden Auswirkungen auf das Weltklima.

Die Landwirtschaft ist für 20 bis 35 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Brasilien und Indonesien tragen mit den Rodungen des Regenwaldes, China und Indien mit der Reisproduktion und China, Indien und die Vereinigten Staaten mit der Überdüngung von Flächen entscheidend dazu bei.

 Reduzierung der Verschwendung von Nahrungsgütern
Nach Ansicht der Wissenschaftler werden 30 bis 50 Prozent der weltweit produzierten Nahrungsgüter verschwendet. Besonders dramatisch fallen die errechneten Defizite bei tierischen Produkten aus: Der Verlust von 1 kg Rindfleisch ohne Knochen  hat den gleichen Effekt wie der von 24 Kilogramm Weizen, vergeudet bei der ineffizienten Umwandlung von Getreide in Fleisch.

In den reicheren Ländern werden Verluste an Nahrungsmitteln durch die Endverbraucher gesteigert, z.B. wenn Supermärkte und ihre Kunden Produkte entsorgen, weil das Verfallsdatum leicht überschritten ist oder wenn optische Mängel die Waren scheinbar schmälern. Die Autoren zeigen, dass die Verringerung der Lebensmittelabfälle  allein in den USA, China und Indien zusätzliche Nahrung für mehr als 400 Millionen Menschen ergeben könnte.

In den Entwicklungsländern hingegen gehen gleich am Anfang, noch bei den Landwirten, viele Nahrungsgüter verloren, etwa wegen unzureichender Lagerung  und mangelnder Kühlräume.

Überfluss und Verschwendung von Nahrungsmitteln auf der einen Seite, Hunger und Nahrungsmitteldefizite auf der anderen Seite – wohl kaum eine Problematik zeigt so eindrucksvoll, dass nur gemeinsam die real gegebenen Chancen für eine Nahrungsmittelsicherheit weltweit genutzt werden können (2).  Das Zeitfenster für präventive Aktionen ist dabei klein, denn bis 2050 soll die Weltbevölkerung um weitere zwei Milliarden wachsen.

Zum Weiterlesen:

(1)   P. C. West, J. S. Gerber, N. D. Mueller, K. A. Brauman, K. M. Carlson, E. S. Cassidy, P. M. Engstrom, M. Johnston, G. K. MacDonald, D. K. Ray, und S. Siebert (2014); Leverage points for improving food security and the environment; Science 345:325-328.

(2)   Zum Zusammenhang von Fehl- und Mangelernährung und Gesundheitsstatus vgl: Assmann – Stiftung für Prävention. Verborgener Hunger (Hidden Hunger) – ein Problem nicht nur in Entwicklungsländern. Abrufbar unter https://www.assmann-stiftung.de/verborgener-hunger-hidden-hunger-ein-problem-nicht-nur-entwicklungslaendern-73/.

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