Vorhofflimmern: hohes Schlaganfallrisiko

Die ungeordnete Pumpfunktion der Herzvorhöfe beim Vorhofflimmern reduziert die Herzleistung. Dies kann besonders bei vorbestehender Herzerkrankung zu allgemeine Leistungsminderung, Schwäche, Luftnot und Wasseransammlungen (Ödeme) bei den Betroffenen führen.

Vor allem aber sind die gefährlichen Folgen des Vorhofflimmerns gefürchtet: Die Herzvorhöfe besitzen kleine Ausziehungen, die als Herzohren bezeichnet werden. In diesen Herzohren ist die Fließgeschwindigkeit des Blutes während des Flimmerns besonders langsam, so dass sich hier häufig Blutgerinnsel bilden. Falls diese dann losgeschwemmt werden, können sie Gefäße im Körper verstopfen und so zu einem Organinfarkt führen. Am häufigsten passiert dies im Gehirn, was man als Schlaganfall bezeichnet.

An erster Stelle der Behandlung des Vorhofflimmerns steht die Reduktion des Schlaganfallrisikos, da diese Komplikation sowohl die Lebenserwartung als auch die Lebensqualität massiv beeinflusst. Dies kann in erster Linie durch eine Blutverdünnung zur Verhinderung einer Gerinnselbildung in den Vorhofohren des Herzens erreicht werden. Derzeit sind neben dem bewährten Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon (Marcumar®) drei neuere direkte orale Antikoagulantien (sog. NOAK oder dOAK) zugelassen (in der Reihenfolge der Zulassungen: Dabigatran Pradaxa®; Rivaroxaban Xarelto®; Apixaban Eliquis®). Sie bieten neben einer besseren Steuerbarkeit bei kürzerer Halbwertzeit den Vorteil von weniger Nahrungsmittel-Interaktion und fehlender Notwendigkeit eines permanenten Blut-Monitorings. Alle drei weisen ein geringeres intracerebrales Blutungsrisiko in den Phase III-Studien auf als Vitamin-K Antagonisten. Die Indikationsstellung zur Antikoagulation erfolgt nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung, die begünstigende Faktoren für die Entstehung eines Schlaganfalls berücksichtigt. Die aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology und der Kommentar der Deutsche Gesellschaft für Kardiologie gehen jedoch davon aus, dass fast alle Patienten von einer Blutverdünnung (oralen Antikoagulation) profitieren. Lediglich Patienten ohne Risikofaktoren bzw. mit sehr geringem Thrombembolierisiko aber hohem Blutungsrisiko sollten eher nicht antikoaguliert werden [1]. Zu den Risikofaktoren gehören eine eingeschränkte Herzpumpfunktion, Embolien in der Vorgeschichte, ein Bluthochdruck, ein Alter über 65 Jahre, eine Zuckerkrankheit, vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen und bedingt das weibliche Geschlecht. Hilfreich zur einfachen Abschätzung des Schlaganfallsrisikos bei Vorhofflimmern ist der sogenannte CHADS2-VA2Sc-Score, der auch in den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfohlen wird:

Tabelle: CHA2DS2-VASc Score auf Basis des “Birmingham 2009 Schemas”

  Klinischer Befund Punkte
C (congestive heart failure) Strukturelle Herzerkrankung, die Herzinsuffizienz verursacht 1 Punkt
H (hypertension) Arterielle Hypertonie (auch behandelt) 1 Punkt
A (age) Alter > 75 Jahre 2 Punkte
D (diabetes) Diabetes mellitus 1 Punkt
S (stroke) Durchgemachter Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke 2 Punkte
V (vascular disease) Gefäßkrankheit (Myokardinfarkt, PAVK oder aortale Plaques) 1 Punkt
A (age) Alter zwischen 65 und 74 Jahren 1 Punkt
Sc (Sex category) Weibliches Geschlecht 1 Punkt

Tabelle Risikostratifizierung und Anteil der Risikokategorien (Daten nach Lip et al.) [2]

*Myokardinfarkt, PAVK oder aortale Plaques

Behandlung des Vorhofflimmerns

Vorhofflimmern kann Ausdruck einer anderen Erkrankung des Herzens oder z.B. der Schilddrüse sein. Daher sollte als erstes nach einer solchen Ursache geforscht werden und diese dann ggf. gezielt behandelt werden.

Darüber hinaus ist die Therapie abhängig von den Beschwerden, die das Vorhofflimmern verursacht. Patienten ohne Beschwerden werden meist mit Medikamenten zur Normalisierung der Pulsfrequenz (beta-Blocker- oder Digitalis-Präparate) behandelt. Leidet der Patient sehr unter den Rhythmusstörungen, sollte versucht werden, den normalen Rhythmus, den sog. Sinusrhythmus, wiederherzustellen. Dies kann mit Medikamenten (sog. Antiarrhythmika) versucht werden.

Aufgrund von Ineffektivität oder relativ häufigen Nebenwirkungen einiger Antiarrhythmika wurden alternative Verfahren zur Unterdrückung des Vorhofflimmerns entwickelt: Untersuchungen bei Vorhofflimmerpatienten haben gezeigt, dass es vor allem im linken Vorhof Bezirke gibt, in denen spontane elektrische Impulse gebildet werden. Diese spontanen elektrischen Erregungen können Vorhofflimmern auslösen, wie ein Anlasser beim Motor diesen startet. Häufig finden sich diese Bezirke an der Einmündung der Lungenvenen. Mit Herzkathetern ist es möglich, diese Bereiche im Herzen zu erreichen und sie mit einer Katherablation elektrisch zu isolieren. Mit dieser Methode kann ein Teil der Patienten, die sehr unter dem Vorhofflimmern leiden, sehr effektiv behandelt werden.

Aus der Forschung

In den letzten Jahren wurden einige neue Medikamente zur Blutverdünnung klinisch erprobt, insbesondere Faktor-Xa-Antagonisten und orale Thrombinhemmer. Eine regelmäßige Blutkontrolle (INR) der Wirkstärke ist bei diesen Medikamenten nicht mehr erforderlich.

Faktor-Xa-Inhibitoren:

  • ARISTOTLE Trial: Die Studie mit dem Faktor-X-Inhibitor apixaban zeigte eine Überlegenheit gegenüber den Vitamin K Antagonisten hinsichtlich Schlaganfallrate und Hirn-Blutungen. Die Substanz ist seit Dezember 2012 als Eliquis® für die Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmerpatienten zugelassen [3].
  • ROCKET Trials: rivaroxaban ist bereits zur Prävention von venösen Thromboembolien (VTE) bei Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen zugelassen [4]. In der Schlaganfall- und Embolie-Prophylaxe ist es gleich wirksam wie die Vitamin K Antagonisten bei geringerem Hirn-Blutungs-Risiko. Die Substanz ist seit Dezember 2011 als Xarelto® für die Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmerpatienten zugelassen [5].
  • AMADEUS Trial: Die Studie wurde beendet, nachdem unter Langzeittherapie mit dem Faktor-X-Inhibitor idraparinux eine signifkant höhere Blutungsrate gegenüber einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten beobachtet wurde [6].

Thrombozytenaggregationshemmer:

  • ACTIVE-A Study: Die Studie untersuchte den Einsatz von clopidogrel plus Acetylsalicylsäure (ASS) bei Patienten, die kein Phenprocoumon-Präparat einnehmen können und zeigte eine Reduktion von vaskulären Ereignissen, besonders von Schlaganfällen. Darüber hinaus zeigte sich jedoch auch ein erhöhtes Blutungsrisiko [7].
  • ACTIVE-W Study: Die Studie wurde wegen einer überlegenen Wirksamkeit von Cumarin-Präparaten im Vergleich zu einer Kombination aus Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel vorzeitig beendet [8].

Orale Thrombinhemmer:

  • RE-LY Trial: Dabigatran greift direkt in die Gerinnungskaskade durch Hemmung des sog. Thrombin ein. Es wurd in zwei Dosierungen (2x110mg und 2x150mg) gegenüber Vitamin K Antagonisten untersucht und ist auch in diesen Dosierungen seit 2010 als Pradaxa® zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmerpatienten zugelassen. Dabigatran zeigte je nach Dosierung einen gleichen bzw. besseren Schlaganfallschutz bei niedrigerem bzw. gleichem Blutungsrisiko gegenüber Vitamin K Antagonisten [9].
  • SPORTIF V Trial [10]: ximelagatran, das zur Thromboembolie-Prophylaxe  bei orthopädischen Operationen bereits zugelassen war, ist aufgrund des hepatotoxischen Potentials vom Markt genommen worden.

Antiarrhythmika:

  • ATHENA Trial: dronedaron wurde im Juli 2009 aufgrund der Ergebnisse der ATHENA-Studie in den USA und im November 2009 in den Ländern der EU als Multaq® zugelassen. Die Studie ergab, dass der primäre Endpunkt „Tod oder Krankenhauseinweisungen wegen kardiovaskulärer Ereignisse“ unter Dronedaron seltener als unter Placebo auftrat. Auch arrhythmiebedingte Todesfälle kamen unter Dronedron seltener vor [11]. Des Weiteren zeigte die ATHENA-Studie, dass das Risiko für das Auftreten eines Schlaganfalls im mit Dronedaron behandelten Studienarm geringer war als das Risiko im Kontrollarm [12]. Die PALLAS-Studie hingegen zeigte eine erhöhte Mortalität bei Hochrisikopatienten [13]. Bei vorliegender Herzerkrankung und Herzschwäche sollte daher Dronedaron nicht oder nur mit Vorsicht eingesetzt werden.

Filtersysteme:

  • PROTECT-AF Trial: Derzeit werden per Herzkatheter zu implantierende Filtersysteme erprobt, um das Herzohr mechanisch zu verschließen und somit die Ausschwemmung von kardialen Thromben zu verhindern. Die PROTECT-AF Studie untersuchte den Einsatz des “Watchman left atrial appendage (LAA) closure device” und zeigte im Vergleich zu Phenprocoumon eine Reduktion der  Schlaganfälle [14; 15].

Ein kathetergestützter Vorhofohrverschluß wird von den kardiologischen Fachgesellschaften (ESC und DGK) berechtigterweise nicht als gleichwertige Alternative zur Blutverdünnung angesehen, sondern nur für Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko und Kontraindikationen gegen eine blutverdünnende Therapie [1].


Quellen

[1] A.J. Camm et al. (2012): 2012 focused update of the ESC guidelines for the management of atrial fibrillation: an update of the 2010 ESC guidelines for the management of atrial fibrillation. Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association. In: European Heart Journal, Vol. 33, Nr. 21, 2719-2747.

[2] G.Y.H. Lip et al. (2010): Refining clinical risk stratification for predicting stroke and thromboembolism in atrial fibrillation using a novel risk factor-based approach: the euro heart survey on atrial fibrillation. In: Chest, Vol. 137, Nr. 2, S. 263-272.

[3] C.B. Granger et al. (2011): Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 365, S. 981-992.

[4] A. Turpie et al. (2008): Comparison of rivaroxaban—an oral, direct factor Xa inhibitor—and subcutaneous enoxaparin for thromboprophylaxis after total knee replacement (RECORD4: a phase 3 study). European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology Annual Meeting. Abstract F85.

[5] M.R. Patel et al. (2011): Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 365, S. 883-891.

[6] The Amadeus investigators (2008): Comparison of idraparinux with vitamin K antagonists for prevention of thromboembolism in patients with atrial fibrillation: a randomised, open-label, non-inferiority trial. In: The Lancet, Vol. 371, Nr. 9609, S. 315-321.

[7] The ACTIVE Investigators (2009): The effect of clopidogrel added to aspirin in patients with atrial fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 360, Nr. 20, S. 2066-78.

[8] The ACTIVE Investigators (2006): Clopidogrel plus aspirin versus oral anticoagulation for atrial fibrillation in the Atrial Fibrillation Clopidogrel Trial with Irbesartan for Prevention of Vascular Events (ACTIVE W): A randomised controlled trial. The Lancet, Vol. 367, Nr. 9526, S. 1903-1912.

[9] S.J. Connolly et al. (2009): Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 361, Nr. 12, 1139-51.

[10] SPORTIF Executive Steering Committee for the SPORTIF V Investigators (2005): Ximelagatran vs warfarin for stroke prevention in patients with nonvalvular atrial fibrillation: A randomized trial. In: The Journal of the American Medical Association, Vol. 293, Nr. 6, S. 690-698.

[11] S.H. Hohnloser et al. (2009): Effect of Dronedarone on Cardiovascular Events in Atrial Fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 360, S. 668-678.

[12] S.J. Connolly et al. (2009): Analysis of stroke in ATHENA: a placebo-controlled, double-blind, parallel-arm trial to assess the efficacy of dronedarone 400 mg BID for the prevention of cardiovascular hospitalization or death from any cause in patients with atrial fibrillation/atrial flutter. In: Circulation, Vol. 120, Nr. 13, S. 1174-1180.

[13] S.J. Connolly et al. (2011): Dronedarone in high-risk permanent atrial fibrillation. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 365, S. 2268-2276.

[14] D.R. Holmes et al. (2009): Percutaneous closure of the left atrial appendage versus warfarin therapy for prevention of stroke in patients with atrial fibrillation: A randomised non-inferiority trial. In: The Lancet, Vol. 374, Nr. 9689, S. 534-542.

[15] D.J.H. McCabe, J.A. Kinsella, W.O. Tobin (2009): Left atrial appendage occlusion in non-valvular atrial fibrillation. In: The Lancet, Vol. 374, Nr. 9689, S. 504-506.