Die Menge und Leistungsfähigkeit von digitalen Gesundheitslösungen nehmen rasant zu. Damit vergrößern sich per se auch die Möglichkeiten zur Prävention von Erkrankungen. Doch es mangelt bislang an verlässlichen Standards, um den Nutzen und die Wirksamkeit der digitalen Gesundheitshelfer objektiv und auf lange Sicht einschätzen zu können. Das Journal Nature hat jetzt das Konzept für eine Digital Health-Scorecard vorgestellt, mit deren Hilfe mehr Transparenz geschaffen werden soll (1).
Das Modell führt Qualitätskriterien in den Bereichen Technik, Klinik, Benutzerfreundlichkeit und Kosten zusammen und orientiert sich dabei an Anforderungen, die der Endnutzer stellen kann. Die Wissenschaftler der John-Hopkins-Universität, die das Bewertungsraster entwickelt haben, empfehlen, den Wert und die Qualität von digitalen Gesundheitsangeboten künftig besser voneinander zu unterscheiden.
Wissenschaftliche Details
Der rasche Fortschritt und die Förderung von digitalen Gesundheitslösungen haben dazu geführt, dass diese Technologien sehr schnell implementiert werden, häufig allerdings zu Lasten der Sicherheit. Nur wenige digitale Gesundheitsprodukte sind eingehend untersucht worden, etwa um ihre klinische Wirksamkeit bewerten zu können. Einen zuverlässigen Mechanismus zur Identifizierung validierter digitaler Gesundheitslösungen gibt es bislang nicht (2,3). Ebenso fällt es den potentiellen Anwendern nicht leicht, Nutzen und Risiken von digitalen Gesundheitshelfern abzuschätzen.
Wissenschaftler der Universität Baltimore haben jetzt im Journal npf Digital Medicine (Nature) das Konzept für eine Digital Health-Scorecard zur unabhängigen Bewertung der Qualität von digitalen Gesundheitslösungen vorgestellt (1). Die Scorecard soll unverzichtbare Standards und Anforderungen aus den Bereichen technische Funktionsfähigkeit, Klinik, Benutzerfreundlichkeit und Kosten zusammenführen und dabei die Belange der Endnutzer bestmöglich berücksichtigen. Das Konzept ist auf Basis einer ausführlichen Analyse der einschlägigen Literatur und schon bestehender Regularien entwickelt worden, die die Publikation zum Teil tabellarisch zusammenfasst.
Die Kernbereiche im Detail:
- technische Funktionsfähigkeit
Die technische Validierung soll beschreiben, wie genau und präzise das digitale Gesundheitsprodukt einen Parameter wie beispielsweise die Herzfrequenz oder den Blutdruck im Vergleich zum Goldstandard in der Klinik misst. Systemfehler und Redundanzen sollen ebenfalls berücksichtigt sein, zum Beispiel wenn sich die Aussagekraft einer digitalen Gesundheitslösung mit der Zeit verschlechtert, weil das Objektiv der Smartphonekamera zerkratzt ist oder Ähnliches. Ebenso sind Angaben nötig, ob eine Back-End-Überwachung des Benutzereingriffs oder eine tägliche Kalibrierung erforderlich wird. Datensicherheitsstandards sollten je nach dem Grad der Vertraulichkeit des jeweiligen persönlichen Daten variieren – von niedrig, wenn es um Schrittzähler oder Beschleunigungsmesser geht bis hoch, wenn etwa eine sozial stigmatisierte Krankheit behandelt oder Testergebnisse gespeichert werden.
- Klinik
In klinischen Validierungsstudien müssen die digitalen Gesundheitslösungen mit den relevanten klinischen Goldstandards verglichen werden. Dabei geht es nicht nur darum zu gewährleisten, dass die Informationen auf den neuesten Erkenntnissen und Richtlinien basieren, sondern auch um den für Nutzer wichtigen Nachweis, dass einfache digitale Eingriffe jahrzehntelange bewährte und wirksame Strategien mitberücksichtigen. Eine Orientierung an den Kriterien des strengen GRADE-Systems wird vorgeschlagen (4). Darüber hinaus sind externe Tests innerhalb einer simulierten oder tatsächlichen digitalen Anwendung erforderlich, um festzustellen, ob die Ergebnisse dupliziert werden können. Für verschreibungspflichtige Apps etc. ist eine Überwachung des Vertriebs in Analogie zum Verkauf von Medikamenten und Medizinprodukten angedacht, um etwaige Systemausfälle zu kompensieren.
- Benutzerfreundlichkeit
Bei digitalen Gesundheitsangeboten gibt es bislang keine verlässliche Zusicherung oder keinen Schutz dafür, dass die Technologie den Bedürfnissen und Präferenzen der Benutzer entspricht. Dabei ist Benutzerfreundlichkeit ein hautsächliches Qualitätskriterium für patientenorientierte digitale Lösungen. Digitale Gesundheits-Apps etwa sollten für den beabsichtigten Zweck einfach zu verwenden sein, nur einen minimalen Aufwand für die Erledigung von Aufgaben erfordern, eine minimale Dateneingabebelastung aufweisen und es dem Benutzer ermöglichen, die Einstellungen gegebenenfalls zu steuern (z. B. Benachrichtigungen). Nur so kann die langfristige Compliance der Patienten sichergestellt werden. Da Systeme für Benutzer mit unterschiedlichen Anforderungen entworfen werden sollten (z. B. Sehstörungen, motorische Defizite, kognitive Dysfunktionen), müssen die Entwürfe die Zielgruppe der Benutzer widerspiegeln. In Analogie der Normung für ISO 9421 sollten digitale Gesundheitsanwendungen den Benutzern helfen, ihre Ziele effektiv, also mit wenigen Fehlern zu erreichen, und dabei angenehm zu bedienen sein.
- Kosten
Die Kosten sind definiert als der Preis, den ein Verbraucher zahlen muss, um Zugang zum digitalen Gesundheitshelfer zu erhalten. Sie sind möglicherweise ein unzureichendes Unterscheidungsmerkmal für digitale Gesundheitslösungen, denn viele werden kostenlos oder kostengünstig angeboten. Eine zusammengesetzte Bewertung sollte die tatsächlichen Kosten(-schätzungen), etwa für den Technologielebenszyklus und für die Integration der Technologie in den klinischen Workflow berücksichtigen.
Die Gesamtpunkzahl ist nach dem Muster des globalen FICO-Scores zur Zusammenführung von Kreditinformationen zur Abschätzung der Kreditnehmerqualität und des Kreditrisikos zu berechnen.
Die Gesamtpunktzahl soll eine grobe Erstauswahl digitaler Gesundheitslösungen ermöglichen. Individuelle Bewertungen erlauben eine feinere Unterscheidung bestimmter Produkte. Die Ergebnisse könnten zu Benchmarks werden und Schwellenwerte für bestimmte Arten digitaler Lösungen festlegen. Diese Bewertungen können auch hervorheben und priorisieren, wie gut das Produkt letztendlich die Anforderungen des Benutzers erfüllt.
Zum Weiterlesen
(1) S.C. Mathews et al. (2019): Digital health: a path to validation. In: npj Digital Medicine, Vol. 2, Nr. 38. Online unter https://www.nature.com/articles/s41746-019-0111-3
(2) M.T. Svendsen et al. (2018): A smartphone application supporting patients with psoriasis improves adherence to topical treatment: a randomized controlled trial. In: British Journal of Dermatology, Vol. 179, S. 1062-71. Online unter https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/bjd.16667
(3) S. Veazie et al. (2018): Mobile applications for self-management of diabetes. Technical Brief No. 31. (Prepared by the Scientific Resource Center under Contract Nos. 290-2012-0004-C and 290-2017-00003-C.) AHRQ Publication No. 18-EHC010-EF (Agency for Healthcare Research and Quality, Rockville, MD, 2018). Online unter https://effectivehealthcare.ahrq.gov/sites/default/files/pdf/technical-brief-31-mobile-applications-for-self-management-of-diabetes.pdf
(4) International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM) (2018): Diabetes Standard Set Released On World Diabetes Day 2018. Online unter https://www.ichom.org/news/ichom-diabetes-standard-set-released-on-world-diabetes-day-2018/ (2018)