Milchprodukte, vornehmlich von Kühen, sind fester Bestandteil einer westlichen Ernährung. Obwohl die tägliche Aufnahme von Milchprodukten von offizieller Seite im Rahmen einer gesunden Ernährung zumeist empfohlen wird, melden sich in letzter Zeit auch einige kritische Stimmen zum Gesundheitswert der tierischen Muttermilch für unseren Organismus.
Denn die in Milch enthaltenen Nährstoffe wie Eiweiß, Calcium und Vitamine, die die tägliche Milchzufuhr rechtfertigen sollen, können wir auch aus anderen Lebensmitteln aufnehmen. Das ist die Kernaussage eines kürzlich im New England Journal of Medicine erschienenen Übersichtsartikels (1). Die Autoren berücksichtigen neben den nachteiligen Effekten, die die Milchproduktion auf unser Klima hat, auch die möglichen Auswirkungen eines hohen Milchkonsums auf unsere Gesundheit.
Die optimale Milchzufuhr ist für jeden Menschen individuell zu betrachten. Generell kann die regelmäßige Aufnahme von Milch gesund sein, allerdings erhöht sie die Qualität der Nahrung nicht zwangsläufig.
Wissenschaftliche Details
Sätze wie „Milch ist gesund“, „Milch macht die Knochen stark“ und „Ein Glas Milch am Tag“ als Empfehlung kennen wohl viele Erwachsene noch aus ihrer Schulzeit. Im Rahmen des EU-Schulmilch-Programms NRW wird eine Zufuhr von einem viertel Liter Schulmilch nach wie vor für jedes Kind angestrebt (2). Doch auch für Erwachsene gilt beim Thema „Milch“ von offizieller Stelle: Viel hilft viel! So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eine tägliche Aufnahme von 200 bis 250 g Milch und Milchprodukten sowie circa 2 Scheiben Käse (3).
Ein etwas anderer Ton wird in einem Übersichtsartikel zum Thema „Milch und Gesundheit“ angeschlagen, der kürzlich im New England Journal of Medicine erschienen ist (1). Das US-amerikanische Forscherteam stellt in ihrer Veröffentlichung dem bislang geglaubten positiven Benefit von Milchprodukten auf die menschliche Gesundheit die aktuellen Erkenntnisse zu möglichen nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen der Aufnahme der tierischen Muttermilch auf den Menschen gegenüber.
Gemeinhin gilt Milch als wichtiger Lieferant für Calcium, das bedeutend zu einer hohen Knochenstabilität beiträgt. Allerdings gibt es aktuell keine Belege dafür, dass ein hoher Milchverzehr tatsächlich mit einer hohen Knochenstabilität verbunden ist. Im Gegenteil: Paradoxerweise ist das Frakturrisiko in Ländern mit einer hohen Milchaufnahme deutlich höher als in Ländern mit einer geringeren Milchaufnahme. Hierzu sind nach Ansicht der Autoren weitere Studien notwendig, die auch andere Einflussfaktoren wie zum Beispiel Vitamin D berücksichtigen. Auch was die Krebsprävention angeht, sind die aktuellen Studienergebnisse noch uneins und bedürfen weiterer Forschung (1).
Was oft isoliert von der menschlichen Gesundheit betrachtet wird, obwohl es einen direkten Einfluss auf sie hat, sind die Effekte der Lebensmittelproduktion auf die Umwelt. Nahrungsmittel beeinflussen die menschliche Gesundheit auf zwei Wegen: direkt – über die aufgenommenen Nährstoffe – sowie indirekt – über die Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf die Umwelt. Letztere sind in der Milchproduktion enorm. Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch und -verschmutzung sowie Antibiotikaresistenz – all diese Faktoren sind pro produzierte Proteineinheit aus Milch schätzungsweise 5- bis 10-mal so hoch wie bei der Produktion einer Proteineinheit aus Soja oder anderen Leguminosen und den meisten Getreidesorten (1). Daher könnte eine Begrenzung der Milchproduktion einen beachtlichen Beitrag zur Erreichung der internationalen Emissionsziele für Treibhausgase leisten (4).
Eine pflanzenbasierte Kost als Mittel der Wahl zum Schutz von Mensch und Natur kommt mehr und mehr in den Köpfen der Bevölkerung von Industrienationen an. Entsprechend stark sind pflanzliche Milchalternativen dort auf dem Vormarsch. Hierzu zählen Drinks aus Mandeln, Hafer, Reis oder Kokos. Neben dem deutlich geringeren energetischen Aufwand pro produzierte Milcheinheit ist die Verträglichkeit für Milchproteinallergiker und laktoseintolerante Menschen ein Pluspunkt der pflanzlichen Milchalternativen. Zu optimieren bleibt neben dem Geschmack jedoch noch der Nährwert der Pflanzendrinks (5). Das synthetische Versetzen der Drinks mit allerlei Mikronährstoffen mag unnatürlich anmuten im Vergleich zur Tiermilch, die auf scheinbar natürliche Weise vom Bauern aus dem Euter gemolken wird. Dass dieses romantische Bild nichts mehr mit der heutigen Milchproduktion gemein hat, mag der geneigte Milchtrinker dabei vielleicht vergessen.
Milch und Milchprodukte sind grundsätzlich keine ungesunden Lebensmittel – sie liefern uns wichtige Nährstoffe wie Calcium, Vitamine und hochwertiges Eiweiß. Bei einer qualitativ geringwertigen Ernährungsweise kann die regelmäßige Aufnahme von Milch diese aufwerten. Eine qualitativ hochwertige Ernährung hingegen wird durch eine erhöhte Milchzufuhr wahrscheinlich nicht bereichert. Als Vorreiter in Sachen staatliche Ernährungsempfehlungen empfiehlt die kanadische Regierung als eine der ersten seit letztem Jahr in ihrem „Food Guide“ keine explizite Erhöhung der Aufnahme von Milchprodukten mehr. Stattdessen tauchen Milch und Milchprodukte nur noch als Teil der Übergruppe „Proteine“ auf (6,7). Es bleibt abzuwarten, wann und inwieweit andere westliche Industrienationen diesem Beispiel folgen und die Milchempfehlungen entsprechend der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen relativieren.
Zum Weiterlesen
(1) W.C. Willett & D.S. Ludwig (2020): Milk and Health. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 382, S. 644-54. Online unter https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMra1903547
(2) Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (2012): Das EU-Schulmilch-Programm NRW. Informationen für Schulen und Eltern. Online unter https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/Broschueren/broschuere_schulmilch.pdf
(3) Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2019): DGE-Ernährungskreis. Milch und Milchprodukte. Online unter https://www.dge-ernaehrungskreis.de/lebensmittelgruppen/milch-und-milchprodukte/
(4) R. Goodland (2013): A fresh look at livestock greenhouse gas emissions and mitigation potential in Europe. In: Global Chance Biology, Vol. 20, Nr. 7, S. 2042-4. Online unter https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/gcb.12454
(5) A.A. Paul et al. (2019): Milk Analog: Plant based alternatives to conventional milk, production, potential and health concerns. In: Critical reviews in food science and nutrition, Vol. 16, S. 1-19. Online unter https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10408398.2019.1674243?journalCode=bfsn20
(6) S. Charlebois (2019): Canada’s Food Guide: The end of the milk doctrine? In: The Globe and Mail. Online unter https://www.theglobeandmail.com/opinion/article-canadas-food-guide-the-end-of-the-milk-doctrine/
(7) Government of Canada (2020): Food Guide. Online unter https://food-guide.canada.ca/en/