Nachdem ein Kind geboren ist, entfalten sich die Anlagen seines Immunsystems im Wechselspiel mit der unmittelbaren Umgebung. Verschiedenste Mikroorganismen, vor allem Bakterien besiedeln den kindlichen Darm und etablieren im Laufe der ersten 1000 Lebenstage eine voll ausgereifte Darmflora. Die besondere Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst in entscheidender Weise und sehr früh mit, inwieweit sich das Immunsystem des Kindes an die Lebensbedingungen anpassen kann. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das individuelle Muster von Mikroorganismen im Darm eines vier Wochen alten Babys Hinweise enthält, ob das Immunsystem später ausgewogen oder überempfindlich reagiert und damit die Neigung zu Allergien begünstigt (1).
Die neue Auswertung von kindlichen Stuhlproben aus der WHEALS-Studie in San Francisco hat jetzt ergeben, dass weniger Bakterien (beispielsweise Bifidobacterium, Akkermansia Faecalibacterium) und mehr Pilze (Candida und Rhodotorula) sowie ein Übermaß von kurzkettigen Fettsäuren im Darm mit einem gesteigerten plötzlichen Allergierisiko verbunden sind. Diese Ergebnisse weisen auf die Chance hin, allergische Reaktionen bei Kleinkindern voraussagen zu können bzw. einen Ansatz, diese durch eine sehr frühzeitige Veränderung der Darmflora zu vermeiden.
Wissenschaftliche Details
Zweijährige Kinder, die auf an sich harmlose Umweltstoffe mehrfach und plötzlich überempfindlich reagieren, haben schon als Neugeborene eine auffällige Darmflora. Wissenschaftler von der UC in San Francisco bestätigten dies an 130 Säuglings-Stuhlproben, die seit 2003 im Verlaufe der Wayne County Health, Environment, Allergy and Asthma Longitudinal Study (WHEALS) gesammelt und konserviert wurden (2).
Die Babys waren alle in und um Detroit herum geboren und von unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft. Nachuntersuchungen im Alter von zwei und dann noch einmal im Alter von vier Jahren dokumentierten ihre Veranlagung zu Atopien, also übermäßige Reaktionen des Immunsystems auf harmlose Umweltreize. Schon im Alter von vier Wochen war die Darmflora der allergiegefährdeten WHEALS-Kindern anders zusammengesetzt als die der abwehrrobusteren Babys. Sie enthielt eine höhere Konzentration von schädlichen Pilzen (Candida und Rhodotorula), eine geringere Konzentration von hilfreichen Bakterien (wie Bifidobacterium, Akkermansia und Faecalibacterium) sowie entzündungshemmenden Substanzen. Von den 11 Säuglingen mit diesem abweichend ungünstigen Muster entwickelten sechs bis zum zweiten Lebensjahr eine Atopie, dreimal häufiger als die gleichaltrigen Kinder mit einer gesünderen Darmflora.
Im Stuhl der Kinder mit späterer Überempfindlichkeit des Immunsystems fand sich auch ein höherer Gehalt an kurzkettigen Fettsäuren mit der Bezeichnung 12,13-DIHOME. Experten vermuten, dass Bakterien über die Bildung von 12,13-DIHOME in der Darmwand die Bildung von regulatorischen T-Zellen verhindern und so das immunologische Gleichgewicht ungünstig verschieben.
Mikroorganismen spielen im Darm eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Nahrungsbestandteilen. Sie entscheiden beispielsweise maßgeblich mit, ob Fette in entzündungshemmende oder entzündungsfördernde Moleküle zerlegt werden. Indem sich die Forschung auf die Unterschiede in der Wirkung von Mikroben konzentriert, eröffnet sich, so die Wissenschaftler, ein Weg zur Prävention von Immunerkrankungen.
Zahlreiche Untersuchungen, darunter auch die der WHEALS-Studie, haben in der Vergangenheit Verhaltensweisen bekräftigt, die vor Allergien schützen können, etwa das Stillen, vaginale Geburten oder das Aufwachsen mit Hunden zumindest während der ersten Lebensjahre. Doch erst mikrobielle Analyse-Techniken der letzten Jahre erlauben eine adäquate Einsicht in die komplexe Funktionsweise des Mikrobioms. Exzellente Wissenschaftskooperationen zwischen staatlichen Universitäten und Non-Profit-Institutionen zur Förderung von Prävention und Gesundheit, aktuell gegeben etwa im Autorenteam von Wissenschaftlern aus den Laboratorien der UC in San Francisco und dem Henry Ford Health System (HFHS) tragen zum erfolgreichen Bündelung von Kompetenzen in der Forschung bei.
Zum Weiterlesen
K.E. Fujimura et al. (2016): Neonatal gut microbiota associates with childhood multisensitized atopy and T cell differentiation. In: Nature Medicine, Vol. 22, S. 1187–1191. Online unter http://www.nature.com/nm/journal/v22/n10/full/nm.4176.html