In welchen Verhältnissen Kohlenhydrate, Fette und Proteine verzehrt werden sollten, steht in Ernährungsfachkreisen seit geraumer Zeit zur Diskussion. Eine große prospektive Beobachtungsstudie aus 18 Ländern empfiehlt jetzt die bestehenden Ernährungsempfehlungen für Makronährstoffe umfassend anzupassen. Zu viele Kohlenhydrate schaden ebenso wie eine rigide Beschränkung im Verzehr fetthaltiger Lebensmittel, so das Urteil der Wissenschaftler der Prospectiven Urban Rural Epidemiology (PURE)‑Studie. Die PURE-Studie zeigte, dass ein sehr kohlenhydratreiches Ernährungsmuster (> 60 E %[1]) mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko verbunden ist (1). Die Studienteilnehmer profitierten hingegen, als sie 5 E % dieser überzähligen Kohlenhydrate durch Fettanteile ersetzten.
Das geringste allgemeine Sterblichkeitsrisiko wurde ermittelt, als die tägliche Kost zu rund einem Drittel aus Fetten bestand, gesättigte und ungesättigte Fettsäuren eingeschlossen. In Kommentaren und Diskussionen zur Studie führen Wissenschaftler diese günstige Wirkung nicht unbedingt auf die Fette per se zurück, sondern unter anderem auf den Mikronährstoffgehalt der tierischen Produkte. Werden Fleisch und Molkereierzeugnisse moderat verzehrt, kann ein vorab bestehendes Defizit an Zink, Eisen, Vitamin K und B12 ausgeglichen werden und so das Sterberisiko vermindert werden (2).
Wissenschaftliche Details
Die prospektive PURE‑Studie hat spezifische Ernährungsgewohnheiten von 135.335 herzgesunden Erwachsenen mittleren Alters auf fünf Kontinenten zu Beginn der Studie im Jahr 2003 erfasst und den Gesundheitszustand der Probanden über durchschnittlich 7,4 Jahre beobachtet. Vor allem Regionen mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen aus Südamerika, Afrika, Südasien und dem Mittleren Osten sind umfangreich einbezogen worden. Schwerpunkt der Studie war es, einen möglichen Zusammenhang zwischen den Makronährstoffen und kardiovaskulären Krankheiten sowie dem Sterblichkeitsrisiko zu untersuchen.
Die Studienergebnisse im Detail:
- Eine Ernährung mit dem höchsten Anteil an Kohlenhydraten von mehr als 60 E % im Vergleich zur kohlenhydratarmen Variante erhöhte die allgemeine Sterblichkeit um mehr als ein Viertel (28 %).
- Bei einem höheren Fettanteil von rund 35 E % und bei jeder Art von Fett, einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren sowie gesättigte Fettsäuren eingeschlossen, sank hingegen die Sterblichkeit um mehr als ein Fünftel (23 %). Auch nahm die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, bei denjenigen, die Lebensmittel mit gesättigten Fettsäuren bevorzugten, ab.
- Wurden 5 E % der Kohlenhydratanteile durch ungesättigte Fettsäuren ersetzt, reduzierte sich die allgemeine Sterblichkeit um 11 %; beim Austausch durch gesättigte Fettsäuren verminderte sich das Schlaganfallrisiko um bis zu 20 %.
- Das Herzinfarktrisiko und das Risiko für die kardiovaskuläre Sterblichkeit blieben von der Verschiebung der Nährstoffanteile unbeeinflusst.
Die Studienautoren folgerten aus ihren Ergebnissen, dass die derzeit existierenden Ernährungsempfehlungen vor allem in Ländern außerhalb von Europa und Nordamerika in Bezug auf Fettrestriktionen aufgeweicht werden sollten und hohen Verzehrsmengen von (raffinierten) Kohlenhydraten limitiert werden sollten (1).
Die Ergebnisse und deren Bedeutung für weltweite Ernährungsempfehlungen wurden und werden sowohl unter Fachexperten als auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert (2-5). Das Editorial zu den Ergebnissen der PURE‑Studie, die im Journal The Lancet publiziert sind, lenkt die Aufmerksamkeit noch auf einen ganz anderen Aspekt. Makronährstoffe allein können die gesundheitsförderlichen und gesundheitsschädigenden Effekte von Lebensmitteln nicht erklären. Christopher E. Ramsden und Anthony F. Domeniciello von der Universität Baltimore vermuten die günstige Wirkung von fetthaltigen Produkten nicht primär im Gehalt ungesättigter oder auch gesättigter Fettsäuren, sondern eher in ihrem Mikronährstoffgehalt. Essentielle Mikronährstoffe wie Zink, bioverfügbares Eisen, Vitamin K und B12 etwa können in Lebensmitteln mit einem höheren Fettanteil und tierischen Ursprungs oft reichhaltiger vorhanden sein als in fettärmeren und im Fall von Eisen auch deutlich besser vom Körper aufgenommen werden. Moderat verzehrt seien diese dazu geeignet, Mikronährstoffdefizite auszugleichen, die aus einer sehr kohlenhydratreichen Kost entstehen können (2).
Die Diskussion um eine ausgewogene Ernährung wird nach den Ergebnissen der PURE‑Studie noch stärker als bislang auch Fragen nach der optimalen Mikronährstoffversorgung mit zu berücksichtigen haben (5).
Zum Weiterlesen
(1) M. Dhegan et al. (2017): Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. In: The Lancet, Vol. 390, Nr. 10107, S. 2050 – 2062. Online unter https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32252-3/fulltext
(2) C.E. Ramsden, A.F. Domenichiello (2017): PURE study challenges the definition of a healthy diet: but key questions remain. In: The Lancet, Vol. 390, Nr. 10107, S. 2018-2019. Online unter https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32241-9/fulltext
(3) Harvard T.H. Chan School of Public Health (2017): PURE study makes headlines, but the conclusions are misleading. The Nutrition Source. Online unter https://www.hsph.harvard.edu/nutritionsource/2017/09/08/pure-study-makes-headlines-but-the-conclusions-are-misleading/
(4) J. Frank et al. (2017): Wissenschaftlicher Kommentar von Experten der Society of Nutrition and Food Science e.V. und Universität Hohenheim zur aktuellen Publikation „Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. Verlängern mehr Fett und weniger Kohlenhydrate das Leben? – Die fragwürdigen Schlussfolgerungen einer neuen globalen Studie. Universität Hohenheim, Stuttgart. Online unter https://idw-online.de/de/attachmentdata58445.pdf
(5) E. Toledo, M.A. Martinez-Gonzales (2017): Fruits, vegetables, and legumes: sound prevention tools. In: The Lancet, Vol. 390, Nr. 10107, S. 2017-2018. Online unter https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32251-1/fulltext
Fußnote
[1] Die Makronährstoffverhältnisse werden üblicherweise in Energie-Prozent (E %) angegeben. Diese werden ermittelt, indem der jeweils konsumierte kcal-Wert von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen durch die Gesamtenergiezufuhr geteilt und mit 100 multipliziert wird. Der Berechnung der zu verzehrenden Gewichtsanteile von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen liegen folgende Angaben zugrunde: 1 g Kohlenhydrate enthält 4 kcal, 1 g Protein ebenfalls 4 kcal und 1 g Fett enthält 9 kcal.