Wenn 75 Milliarden Dollar (immerhin 15 % des aktuellen Jahresetats für die Entwicklungshilfe insgesamt) für humanitäre Zwecke über vier Jahre hinweg für die Welt frei zur Verfügung ständen – wohin sollten sie fließen?
Diese Frage bearbeitet ein Kreis von mehr als 60 Ökonomen, darunter vier Nobelpreisträger, im Copenhagen Consensus Projekt (1). Intention der Initiative ist es, eine wissenschaftlich begründete Rangliste für effiziente Investitionen zur Lösung von globalen Problemen in der Welt zu erstellen. Ob und wie es gelingt, mit dem Einsatz begrenzter finanzieller Ressourcen einen größtmöglichen Nutzeneffekt zu erzielen, gilt als Maßstab jeder Idee und wird mit den Methoden der Wohlfahrtsökonomie (2) berechnet.
Im Ranking der ebenso am dringlichsten wie am effizientesten zu lösenden Probleme in der Welt bewerten die Wissenschaftler Themen der Gesundheitsförderung überraschend, da abweichend von der öffentlichen Meinung, am höchsten. So enthalten acht der ersten zehn Vorschläge auf der im Jahr 2012 vorgelegten Prioritätenliste Empfehlungen zur Vermeidung von Krankheiten in den Entwicklungsländern.
An erster Stelle steht die Bekämpfung der Unterernährung von Kindern im Vorschulalter durch die Gabe von Mikronährstoffen (wie z.B. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe). Weltweit sind knapp 180 Millionen Kinder von frühem Tod und von Missbildungen durch Mangelernährung bedroht. Diese Kinder leiden nicht nur an Hunger, sondern auch an Wachstumsstörungen, räumlicher Desorientierung, Gedächtnisschwäche und vieles mehr (3). Mit einer Investition von 2,3 Milliarden Dollar jährlich ließe sich, so die Experten, die Zahl der unterernährten Kinder in den Entwicklungsländern dauerhaft um über ein Drittel (36 %) reduzieren. Stünden nur 100 Dollar pro Kind zusätzlich zur Verfügung, wäre ein Maßnahmenbündel finanzierbar, dass nicht nur das Nahrungsangebot vergrößert und qualitativ mit Mikronährstoffen ergänzt, sondern auch die Gabe von Mitteln zur Minderung von Durchfall- und Wurmerkrankungen sowie Ernährungsfortbildungen mit einschließt, um den Ernährungsstatus zu verbessern. Doch besonders der Einsatz von Mikronährstoffen soll unterernährten Kindern am nachhaltigsten und am wirksamsten helfen. Projektstudien zeigen, dass z.B. die mit Spurenelementen wie Zink und Eisen sowie von Vitamin A ergänzte Nahrung das Wachstum von Hirn und Muskeln stimulieren und die kognitiven Fähigkeiten verbessert. Sekundärfolgen von Wachstumsstörungen werden dadurch vermieden. Ausreichend ernährte Kinder verhalten sich aufmerksamer und ausdauernder in der Schule. Da letztendlich eine solide Ausbildung und eine gesteigerte psychische Leistungsfähigkeit den Start ins Berufsleben erleichtern, ergeben sich daraus auch Chancen auf ein höheres Einkommen und auf eine bewusstere Familienplanung. Weil diese Kinder in der Zukunft ein gesünderes, produktiveres Leben führen könnten als die jetzt Erwachsenen, erzeuge, aus der monetären Sicht der Ökonomen betrachtet, jeder in die Bewältigung chronischer Unterernährung investierte Dollar unter dem Strich einen Gewinn von 59 Dollar.
Auf Platz zwei der Liste einer kosteneffektiven und wirksamen Hilfe ist die Subvention von Malariamedikamenten genannt. Mit einem Aufwand von 300 Millionen Dollar pro Jahr ließe sich der frühzeitige Malariatod von 300.000 Kindern vermeiden. Ähnlich effizient seien Investitionen zur Behandlung von Tuberkulose, Impfaktionen für Kinder und für Hepatitis B-Gefährdete sowie für die Verbesserung der chirurgischen Versorgung. Auch preiswertere Medikamente gegen den Herzinfarkt könnten langfristig eine kostengünstige Hilfe sein.
Zwei weitere Maßnahmen auf der Liste der Top-Ten in der humanitären Hilfe beinhalten Empfehlungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung von ertragreichen Feldfruchtsorten und von Frühwarnsystemen vor Naturkatastrophen.
Das Copenhagen Consensus Projekt ist nicht unumstritten. Kritiker bemängeln darin in erster Line den relativ geringen Stellenwert von Investitionen in den Klimaschutz, der insbesondere vom Projektleiter und Statistikprofessor Björn Lomborg als bislang zu ineffizient bewertet ist.
Dass die Suche nach einfachen, erprobten und auch realistischen Strategien zur nachhaltigen Verbesserung der Welt nicht nur ein Spiel mit theoretisch – präventiven Optionen ist, beweist auch die derzeitige Diskussion um die Zukunft der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) (2). 191 UN – Mitgliedsstatten hatten sich im Jahr 2001 verpflichtet, in ihrer Politik bis 2015 folgende acht Schwerpunkte besonders zu berücksichtigen: Beseitigung von extremer Armut und Hunger, Grundschulausbildung für alle, Förderung der Gleichstellung für Frauen, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Müttergesundheit, Bekämpfung von AIDS, und Malaria, Gewährleistung einer nachhaltigen Umwelt und die Schaffung einer globalen Partnerschaft im Dienst der Entwicklungshilfe.
Die derzeitige Prüfung und Überarbeitung dieser Millenniums-Ziele ist mit einer der wichtigsten Weichenstellungen für die Entwicklungspolitik (und deren Finanzierung) seit der Jahrtausendwende verbunden. Erste Ergebnisse dieses Prozesses, der in eine Post-2015 Entwicklungsagenda mündet, werden im September 2014 erwartet. Die Wirksamkeit globaler medizinischer Prävention in naher Zukunft wird auch davon abhängen, welche Priorität die UN der Gesundheitsvorsorge in der post-2015 Ära weltweit beimisst.
Zum Weiterlesen:
(1) Das Copenhagen Consensus Projekt in der Selbstdarstellung vgl: http://www.copenhagenconsensus.com/
(2) Die Wohlfahrtsökonomik als Teilgebiet der Mikroökonomik analysiert die Bedingungen für ein Wohlfahrtsoptimum und die Kriterien für gesellschaftliche Wohlfahrtserhöhungen. Dabei geht die Wohlfahrtsökonomik der Frage nach, wie mit volkswirtschaftlich knappen Mitteln gewirtschaftet werden soll, damit eine Versorgung erreicht wird, die von den Gesellschaftsmitgliedern als bestmöglich beurteilt wird. Zum Begriff und Methoden der Wohlfahrtsökonomie siehe: Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Wohlfahrtsökonomik, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/1102/wohlfahrtsoekonomik-v9.html
(3) Eine tabellarische Übersicht über die Folgen einer Über- und Unterversorgung von Mikronährstoffen bietet die Seiter der Assmann – Stiftung unter dem link: https://www.assmann-stiftung.de/ernaehrung/vitamine-und-mineralstoffe/wissenswertes/
Als Einstieg in die Problematik:
Jens Martens (2013). Globale Nachhaltigkeitsziele für die Post-2015 Entwicklungsagenda. Bonn. http://downloads.kirchenserver.org/22/2172/2/58753717981444891771.pdf