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Gesundheit 2020 – Das europäische Rahmenkonzept für gesamtstaatliches und -gesellschaftliches Handeln zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden [78]

Die 53 Mitgliedstaaten der WHO in der Europäischen Region haben sich unter der programmatischen Bezeichnung Gesundheit 2020 auf ein neues gemeinsames Rahmenkonzept zur Stärkung ihrer Gesundheitssysteme geeinigt (1).

Das Konzept ist geprägt von der Vision, dass alle Menschen in die Lage versetzt und darin unterstützt werden, ihr gesundheitliches Potenzial voll auszuschöpfen und ein möglichst hohes Maß an Wohlbefinden zu erreichen, und dass die Länder einzeln und gemeinsam daran arbeiten, gesundheitliche Benachteiligungen innerhalb wie außerhalb der Region abzubauen.

Gesundheit 2020 ist mehr programmatisch, denn pragmatisch konzipiert. Das Dokument enthält in erster Linie  Anregungen für die Regierungen der Europäischen WHO – Staaten, die Gesundheitspolitik unter dem Primat von Prävention neu zu denken und zu entwickeln.

 

Zwei strategische Ziele von Gesundheit 2020:
Mehr Gerechtigkeit und bessere Führung im Gesundheitsbereich

Gesundheit 2020 beruht auf der Überzeugung, dass erfolgreiche Regierungen gesundheitliche Fortschritte erzielen können, wenn sie ressortübergreifend für zwei strategische Ziele arbeiten:

  • Verbesserung der Gesundheit für alle und Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheiten und die
  • Verbesserung von Führung und partizipatorischer Steuerung für die Gesundheit.

Wenn sich auch die Indikatoren für Gesundheit in der Europäischen Region der WHO in den letzten Jahren beträchtlich verbessert haben, so nicht überall und nicht für jeden spürbar. Das Gefälle zwischen reichen und ärmeren Ländern nimmt im Bereich Gesundheit eher zu. So beträgt z.B. die Spanne zwischen der niedrigsten und der höchsten Lebenserwartung ab Geburt in der Europäischen Region 16 Jahre. Und die Müttersterblichkeit fällt in ärmeren Ländern bis um das 43fache höher aus als in wirtschaftlich stärkeren. Derart extreme Differenzen sind eng mit Unterschieden im gesundheitsriskanten Verhalten, wie etwa beim Tabak- und Alkoholkonsum, verbunden.

Die Zunahme chronischer Krankheiten und psychischer Störungen, mangelnder sozialer Zusammenhalt, Umweltgefahren und finanzielle Unsicherheit erschweren gesundheitliche Verbesserungen zusätzlich und bedrohen die Tragfähigkeit von Gesundheits- und Wohlfahrtssystemen.

Zugewinne im Bereich Gesundheit sind trotz knapper Ressourcen zu erschwinglichen Kosten insbesondere durch Prävention möglich, insbesondere wenn parallel dazu die Ungleichheiten im sozialen Gefälle gemindert und die schutzbedürftigen Schichten unterstützt werden.

Beispiele aus der Ökonomie der Krankheitsprävention zeigen auch immer deutlicher, wie die Gesundheitskosten begrenzt werden können. Doch bisher geben die Staaten bestenfalls einen Bruchteil ihrer Gesundheitsetats für Krankheitsprävention aus – ungefähr 3% in den OECD-Ländern – und soziale Ungleichheiten werden oft nicht systematisch berücksichtigt. Dabei können soziale und technologische Neuerungen, insbesondere in den Bereichen Informationswesen, soziales Marketing und soziale Medien, die Wirksamkeit von Prävention verstärken und damit gesundheitliche Vorteile begünstigen.

 

Gemeinsamen gesundheitspolitische Prioritäten

Im Rahmenkonzept Gesundheit 2020 werden vier vorrangige Bereiche für Grundsatzmaßnahmen vorgeschlagen:

  • Investitionen in Gesundheit durch einen Lebensverlaufansatz und Stärkung der Handlungsfähigkeit der Menschen,
  • Bekämpfung der großen gesundheitlichen Herausforderungen durch nichtübertragbare und übertragbare Krankheiten in der Europäischen Region,
  • Stärkung von bürgernahen Gesundheitssystemen, von Kapazitäten in den öffentlichen Gesundheitsdiensten und von Vorsorge-, Surveillance- und Gegenmaßnahmen für Notlagen,
  • Schaffung widerstandsfähiger Gemeinschaften und stützender Umfelder.

Vorrangiger Bereich 1: Investitionen in Gesundheit durch einen Lebensverlaufansatz und Stärkung der Handlungsfähigkeit der Menschen
Der demografische Wandel erfordert in vielen Ländern wirksame Strategien, welche in allen Lebensabschnitten der Gesundheitsförderung und der Krankheitsprävention eine neue und höhere Priorität einräumen. Gute Gesundheit soll ein Leben lang gefördert werden. Die Verbesserung der Gesundheit und der gesundheitlichen Chancengleichheit muss daher schon in der Schwangerschaft und in der Phase der frühkindlichen Entwicklung ansetzen. Gesunde Kinder lernen besser, gesunde Erwachsene sind produktiver und gesunde ältere Menschen leisten weiter aktiv einen gesellschaftlichen Beitrag.
Programme für Gesundheitsförderung, die auf das Prinzip der Beteiligung und der Befähigung zum selbstbestimmten Handeln bauen, sind bevorzugt einzusetzen. Eine Verbesserung in Beteiligung und Befähigung schließt ein, die Gesundheitskompetenz zu verbessern, ein unabhängiges Leben zu unterstützen und die Entscheidung für ein gesundes Leben zu erleichtern. Außerdem bedeutet es, dass ein gesunder Start ins Leben ermöglicht wird, dass Sicherheit und Wohlbefinden in Kindheit und Jugend gewährt werden, dass gesunde Arbeitsplätze gefördert werden und dass ein gesundes Altern unterstützt wird. Ein Angebot für gesunde Nahrung und Ernährung im gesamten Leben hat angesichts der in Europa grassierenden Adipositas-Epidemie ebenfalls eine Priorität.

Vorrangiger Bereich 2: Bewältigung der großen Herausforderung, übertragbare und nichtübertragbare Krankheiten durch  miteinander verzahnte Strategien und Interventionen zur Gesundheitsförderung bekämpfen
Sowohl übertragbare als auch nicht übertragbare Krankheiten erfordern aufeinander abgestimmte Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sowie Interventionen in den Gesundheitssystemen. Die Wirksamkeit dieser Interventionen muss durch Maßnahmen in den Bereichen Chancengleichheit, soziale Determinanten von Gesundheit, Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln und unterstützende Umfelder erhöht werden.
Erforderlich wird u.a. der Aufbau von Informations- und Überwachungskapazitäten zur Verbesserung des Informationsaustausches und gegebenenfalls die Umsetzung gemeinsamer Überwachungs- und Bekämpfungsmaßnahmen durch die Gesundheits-, Veterinär-, Lebensmittel- und Landwirtschaftsbehörden.
Der Bewältigung schwerer bakterieller Infektionskrankheiten dienen insbesondere regionale Strategien und Aktionspläne zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen, zur Eindämmung des  Auftretens und der Verbreitung resistenter Organismen durch vernünftigen Einsatz von Antibiotika, zur Gewährleistung sicherer Bedarfsgüter wie Wasser und Lebensmittel, zum Erreichen und Erhalten der empfohlenen Impfraten als Vorsorge gegen so vermeidbare Krankheiten wie Polio, Masern, Röteln und Malaria, zur vollkommenen Beherrschung von Krankheiten wie Tuberkulose, HIV/Aids und Grippe durch Sicherstellung des Zugangs der gesamten Bevölkerung (auch schwacher Gruppen) zum Gesundheitssystem und zu evidenzgeleiteten Interventionen.

Vorrangiger Bereich 3: Stärkung von bürgernahen Gesundheitssystemen, von Kapazitäten in den öffentlichen Gesundheitsdiensten und von Vorsorge-, Surveillance- und Gegenmaßnahmen für Notlagen
Für das Erreichen hochwertiger Gesundheitsversorgung und besserer gesundheitlicher Ergebnisse werden Gesundheitssysteme benötigt, die finanziell lebensfähig, zweckmäßig, bürgernah und evidenzgeleitet sind. Alle Länder müssen sich an geänderte demografische und epidemiologische Muster anpassen, insbesondere in Bezug auf Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit sowie chronischer und altersbedingter Erkrankungen. Dies erfordert eine Neuausrichtung der Gesundheitssysteme, so dass diese Krankheitsprävention priorisieren, eine kontinuierliche Qualitätssteigerung und eine Verzahnung der Leistungsträger fördern, die Kontinuität der Versorgung sichern und die Selbstversorgung der Patienten unterstützen.

Vorrangiger Bereich 4: Schaffung widerstandsfähiger Gemeinschaften und stützender Umfelder
Die Chancen der Menschen auf ein gesundes Leben sind eng mit den Umständen verknüpft, unter denen sie geboren werden, aufwachsen, arbeiten und altern. Widerstandsfähige und zu selbstbestimmtem  Handeln befähigte Gemeinschaften reagieren aktiv auf neue und widrige Umstände, stellen sich auf ökonomische, soziale und ökologische Veränderungen ein und können Krisen und Härtesituationen besser bewältigen. Die Schaffung von Widerstandskraft ist ein zentraler Faktor für den Schutz und die Förderung der Gesundheit der einzelnen Person wie der Gemeinschaft. Eine systematische Erfassung der gesundheitlichen Folgen der sich rasch wandelnden Umwelt – insbesondere in den Bereichen Technologie, Arbeitswelt, Energieerzeugung und Stadtentwicklung – ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Gesundheit 2020 soll sich messbar auf die Gesundheit in auswirken. Sechs Indikatoren wurden von den europäischen Mitgliedsländern der WHO vereinbart:

1. Senkung der vorzeitigen Mortalität in der Europäischen Region bis 2020.

2. Erhöhung der Lebenserwartung in der Europäischen Region.

3. Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten in der Europäischen Region.

4. Förderung des Wohlergehens der Bevölkerung in der Europäischen Region.

5. Sicherung einer universellen Versorgung und des Rechts auf ein
Höchstmaß an Gesundheit.
6. Aufstellung nationaler Ziele und Vorgaben für die Gesundheit in den
Mitgliedstaaten.

Zum Weiterlesen:
(1) WHO Regionalbüro für Europa: Rahmenkonzept und Strategie der Europäischen Region für das 21. Jahrhundert.  Abrufbar über http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0009/215757/Health2020-Long-Ger.pdf?ua=1 und http://www.euro.who.int/de/health-topics/health-policy/health-2020-the-european-policy-for-health-and-well-being/about-health-2020

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