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Ein evolutionsbiologischer Vergleich von Mensch und Affe motiviert zu moderatem Ausdauertraining [327]

Das menschliche Herz benötigt lebenslang moderate körperliche Ausdaueraktivität, um in Form zu bleiben. Weicht der Lebensstil davon ab, eröffnet sich ein Spielraum für physiologische Anpassungen, die teilweise gesundheitsschädigende Konsequenzen haben können. Beispielsweise kann dauerhafter Bewegungsmangel zu Verdickungen und stärkerer Rundung der Herzkammerwände führen und dadurch Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen begünstigen.

Dass das auch evolutionär bedingt ist, fanden US-amerikanische Wissenschaftler jetzt in einem aktuellen Vergleich der Herzstrukturen von Langstreckenläufern, Fußballern, indigenen Siedlern und Menschenaffen heraus (1). Im Unterschied zu Schimpansen und Gorillas, die sich vor allem mit kurzen intensiven Kraftakten beim Klettern und Kämpfen durchsetzen, überlebten die Menschen in der vorindustriellen Zeit vor allem mit moderat-anstrengenden, aber andauernden Belastungen. Infolge dessen sei das menschliche Herz insbesondere darauf spezialisiert, das Herzzeitvolumen langfristig zu vergrößern und dabei den Blutdruck niedrig zu halten, aber nicht den plötzlichen Blutdruckanstieg bei kurzzeitigen starken Belastungen zu kompensieren, so das Fazit der Forscher. Gesunde Bewegungsmuster sollen diese natürliche Veranlagung unterstützen.


Wissenschaftliche Details

Wissenschaftler der University of British Columbia, der Harvard University und des Massachusetts General Hospital sind der Frage nachgegangen, inwieweit die gegenwärtige Form und Struktur des menschlichen Herzens evolutionsbiologisch begründet ist und eine Anpassungsleistung an die Lebensumstände der vorindustriellen Zeit darstellt (1).

Um diese Hypothese zu testen, verglichen sie die linksventrikuläre Struktur und Funktion der Herzen von Menschenaffen und Menschen. Diese wiesen deutlich unterschiedliche körperliche Aktivitätsmuster auf. In die Untersuchung einbezogen waren

  • 42 Langstreckenläufer
  • 40 American Football-Spieler (trainierte auf kurzfristige, starke Belastungen)
  • 40 Personen mit einer vorwiegend sitzenden Tätigkeit und
  • 42 indigene Farmer aus Nordmexiko.

Als Vergleich diente eine Gruppe von 43 halbwilden Schimpansen und fünf Gorillas.

In der Analyse zeigten sich wesentliche physiologische Unterschiede. Der linke Ventrikel war bei den Affen eher runder geformt und von einer dickeren Wand begrenzt, beim Menschen dagegen oval und dünnwandiger. Das menschliche Herz ist aufgrund dessen sehr gut in der Lage, das Blutvolumen, das pro Zeiteinheit durch das Herz gepumpt wird, dauerhaft zu erhöhen. Weniger flexibel kann es auf einen plötzlichen Blutdruckanstieg reagieren, der etwa durch sehr intensives Krafttraining ausgelöst wird.

Entwicklungsgeschichtliche Lebensumstände haben diese Variabilität des Schlagvolumens beim menschlichen Herzen begünstigt. So schlugen sich unsere Vorfahren als Jäger, Sammler und Bauern vor allem mit mittelmäßig anstrengenden, aber andauernden Tätigkeiten durch. Hingegen müssen sich Schimpansen und Gorillas vor allem kurz und stark verausgaben, etwa beim Klettern oder in Kämpfen.

Das menschliche Herz verfügt gegenwärtig über eine phänotypische Plastizität. So beobachteten die Wissenschaftler, dass es auf körperliche Inaktivität oder eine chronische Druckbelastung reagiert und in der Folge dem Schimpansen-Herzen ähnlicher wird. So waren bei Langstreckenläufern und teilweise auch bei indigenen Farmern das für Ausdauer wichtige erhöhte Schlagvolumen deutlicher ausgeprägt als bei Football-Spielern und körperlich Inaktiven. Letztere Personengruppen verfügten im Vergleich über eine kleinere rundere Herzkammer mit dickeren Wänden. Folglich scheint das menschliche Herz eine dauerhaft moderate körperliche Belastung zu benötigen, um seine herkömmliche Form und Funktion zu erhalten.

Im aktuellen, postindustrielle Zeitalter bleibt in der Regel nur wenig Raum für körperliche Ausdaueraktivitäten, die dem menschlichen Herz physiologisch zugutekämen. In Kombination mit einer schlechten Ernährung aus stark verarbeiteten Lebensmitteln ist dies ein maßgeblicher Grund für das Übermaß an blutdruckabhängigen Herz-Kreislauferkrankungen weltweit, so die Wissenschaftler im Resümee. Sie bekräftigen mit neuen Argumenten den Ansatz, sehr früh im Leben gesunde Bewegungsmuster zu entwickeln und diese mit fortschreitendem Lebensalter aufrechtzuerhalten, um Gesundheitsrisiken zu verringern. Auch auf alterstypische Entwicklungen kann sich Ausdauersport positiv auswirken (2).


Zum Weiterlesen

(1) R.E. Shave et al. (2019): Selection of endurance capabilities and the trade-off between pressure and volume in the evolution of the human heart. In: Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America. Online-Vorveröffentlichung. Online unter https://www.pnas.org/content/116/40/19905

(2) C.M. Werner et al. (2018): Differential effects of endurance, interval, and resistance training on telomerase activity and telomere length in a randomized, controlled study. In: European Heart Journal, Vol. 40, Nr. 1, S. 34-46. Online unter https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy585

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