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Die Vision vom Leben ohne Krankheit [31]

Prävention steht im Fokus des zurzeit weltweit am meisten diskutierten Sachbuchautors, dem amerikanischen Onkologen David B. Agus, dessen neuestes Buch mit dem Titel Leben ohne Krankheit im Februar 2013 im Piper-Verlag in deutscher Sprache erschienen ist.

David B. Agus versteht sein Buch als ein Manifest für den individuellen Weg zu einem langen gesunden Leben. Sein Credo: Jeder trage aus der Fülle der gegebenen Möglichkeiten selbst die Verantwortung für das Gesund bleiben. Ein generelles Umdenken sei nötig, will man diesem hohen Anspruch gerecht werden: Gesundheit sei nicht länger nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern ein Zustand, in dem das Körpersystem ordnungsgemäß läuft und eine hohe Lebensqualität beschert.

Vom individuellen Lebensstil bis hin zur High-Tech Medizin stellt David B. Agus alles auf dem Prüfstand der Optionen für das Gesund bleiben. Sein Buch liest sich daher wie eine kritische Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Verständnisses von Medizin als Wissenschaft und als Heilkunst und es mündet in Empfehlungen für ein Umdenken und für ein vorausschauendes Handeln.

David B. Agus sieht bei allen Fortschritten der neuzeitlichen Medizin einen gravierenden konzeptionellen Mangel. Dieser äußere sich in der singulären Behandlung von Krankheiten und –symptomen. Erfolgreich sei dieses Vorgehen, wenn der Krankheitserreger von außen in das Körpersystem eindringe, wie etwa bei den Infektionskrankheiten. Degenerative Krankheiten wie Krebs, Demenz und Herz-, Kreislaufleiden entstünden im Inneren des komplexen Körpersystems und können nur aus der Komplexität des Gesamtzusammenhangs heraus verstanden werden. Der Erkenntnisgewinn der künftigen Medizin hänge davon ab, inwieweit es gelänge, den individuellen Gesamtzusammenhang des Körpersystems zu erfassen.

David B. Agus beschreibt den menschlichen Körper als ein komplexes, sich entwickelndes und vor allem einzigartiges System, dessen Vorgänge alle in einem Wirk- und Wechselzusammenhang stehen. Im Normalzustand befinden sich alle Kräfte in einem Gleichgewicht, bei Krankheit sei dieses Gleichgewicht gestört oder aber zusammengebrochen. Der individuelle Weg zu vielen gesunden Lebensjahren ergebe sich aus der Fürsorge für das ebenso individuelle Gleichgewicht im Körpersystem. Fürsorge heißt, für das eigene Körpersystem vorhersehbar und bewusst defizitausgleichend zu leben. Vorausgesetzt wird, dass  jeder die Daten und Befindlichkeiten seines eigenen Körpers im Detail kenne. David B. Agus empfiehlt eine akribische Buchführung über Veränderungen der körpereigenen Gesundheitsparameter, die er die persönliche Metrik nennt. Zur persönlichen Metrik gehören physiologische Basisdaten wie das Gewicht, der Blutdruck, die Körpertemperatur, das Blutbild etc. ebenso wie das genetische Profil und das Mikrobiom, die Auskunft geben über das persönliche Krankheitsrisiko. Aus dem Verständnis der persönlichen Metrik leiten sich alle Maßnahmen für das Gesundbleiben ab. Hilfreich wirkten sich schon wiederkehrende, gleichgewichtsstützende, Abläufe beim Schlafen und beim Essen aus.  Im Grunde gehe es darum, das eigene Gleichgewicht so wenig wie nötig einseitig und überraschend zu beanspruchen. Die permanenten Störungen des Gleichgewichts im Körpersystem lösten Entzündungen aus. Und Entzündungen führen – so Agus – letztendlich zu degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Herzleiden, Diabetes und Krebs. Das Spektrum der störenden Belastungen reiche dabei von kleinen Verletzungen über die Grippeerkrankung bis hin zum Überangebot von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln.

Die Kunst des Gesundbleibens sei einfach und bestehe darin, Entzündungsherde möglichst zu vermeiden oder frühzeitig einzudämmen. Dies gelänge am effektivsten durch den auch prophylaktischen Griff zu erprobten, entzündungshemmenden Arzneistoffen, wie gering dosiertes Aspirin und Statin in Absprache mit dem Arzt. Nebenwirkungen von Aspirin, wie etwa Magenbluten, und von Statin, wie etwa Muskulatur- und Gedächtnisschäden, seien zu berücksichtigen, wenn es darum gehe, maßgeschneiderte Vorsorgemaßnahmen und Therapien zu finden. Die Gabe von Medikamente bleibt immer mit Vorzügen und Nachteilen behaftet. Entscheidend sei, so Agus, beide Seiten vorab gegeneinander abzuwägen.

David B. Agus schildert eindringlich am Beispiel der Fehleinschätzungen der Wirkung von Vitaminen, wie wichtig es ist, kenntnisreich verantwortungsvoll mit Arzneistoffen umzugehen. Viele Menschen ergänzten ihre tägliche Nahrung gutmeinend mit Vitaminpräparaten. Doch während es an Beweisen mangele, dass künstliche Vitamine Krebs oder Herzleiden vorbeugen, seien die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften einer Überdosierung von Vitamin E, Beta-Karotin oder Vitamin C offensichtlich und längst bekannt. Davis B. Agus argumentiert wissenschaftlich auf der Grundlage von Ergebnissen randomisierter klinischer Studien. Wissenschaftler  hatten beispielweise 2011 im Fachmagazin Journal of the American Medical Association (JAMA)  berichtet, dass die regelmäßige unkontrollierte Einnahme von Folsäure, Vitamin B6-, Eisen-, Zink- und Magnesiumpräparaten das Leben verkürzen könne. Diese Aussage beruht Ergebnissen einer Ernährungsstudie mit 40.000 älteren Frauen in Finnland. Die internationale Bewertung der Ergebnisse der Vitaminstudien zeigte aber auch methodische Mängel auf.  Letztendlich seien diese und weitere Studienergebnisse ein Indiz dafür, auch mit Vitaminen keine Selbstmedikation zu versuchen, sondern im Dialog mit dem behandelnden Arzt die optimale Versorgung für sich herauszufinden.

David B. Agus, ebenso als Professor für Medizin wie für Ingenieurwissenschaften berufen, schlägt neue Methoden für die Medizinische Forschung unter Ausnutzung aller derzeit verfügbaren technischen Möglichkeiten vor. In Analogie zu komplexen interaktiven Videospielen könnten nach Vorlage persönlicher medizinischer Parameter Körpersysteme modellhaft simuliert und in ihren Reaktionen präventiv getestet werden. Die Verwirklichung der Vision einer personalisierten Medizin, in der Prävention, Diagnostik und Therapie von Krankheiten auf den Körperzustand des Einzelnen zugeschnitten ist, sei greifbar nah. Auch hierbei sei die Mitwirkung eines jeden gefragt. Um individuelle Parameter umfassend auswerten zu können, müssten diese zunächst auch umfassend von den Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Die persönliche Freiheit im Umgang mit persönlichen Daten könne sich auch darin äußern, diese der medizinischen Forschung freiwillig zu überlassen. David B. Agus legt beispielgebend sein persönliches Risikoprofil in seinem Buch offen und überlässt es seinen Lesern, die Schlüsse daraus zu ziehen.

Die überwältigende Resonanz der Leser auf dieses, auf ein medizinisches, Sachbuch zeigt auch, wie groß das Interesse ist, einen verlässlichen Kompass zur persönlichen Gesundheit zu finden. David B. Agus hat zumindest ein Ziel erreicht, eine öffentliche Debatte um das komplexe Phänomen Gesundheit anzuregen.

Aus präventivmedizinischer Sicht ist die von Agus vertretene Ansicht, dass die entzündungshemmende Wirkung von Aspirin und Statinen bedeutsam für die Vermeidung chronischer Krankheiten sein kann, äußerst interessant.

Quellen

  1. David B. Agus: The End of Illness: A New Perspective on Health That Changes Everything. New York 2012 und in der deutschen Übersetzung München und Zürich 2013
  2. Bjelakovic G, Nikolova D, Gluud LL, Simonetti RG, Gluud C: Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention JAMA (2007), 297(8) S. 842-857
  3. Jaakko Mursu, PhD; Kim Robien, PhD; Lisa J. Harnack, DrPH, MPH; Kyong Park, PhD; David R. Jacobs, PhD:  Dietary Supplements and Mortality Rate in Older WomenThe Iowa Women’s Health Study. In: Arch Intern Med. 2011;171(18). S.1625-1633
  4. Cornaro, Alvise, Vom maßvollen Leben. Padua 1558 in der kommentierten Ausgabe von Claus Bergdolt. Heidelberg 1991

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