Jährlich treten rund 1.800 Krebs-Neuerkrankungen bei Kindern in Deutschland auf. Vier von fünf dieser Kinder werden mit Diagnose nach heutigem Stand fünf Jahre und mehr überleben (1). Doch die Sorge um Spätfolgen begleitet sie und ihre Familien meist lebenslang. Eine britische Studie hat jetzt untersucht, an welchen Erkrankungen Menschen sterben, die in ihrer Kindheit Krebs überwunden haben und älter als 60 Jahre alt geworden sind. Dabei stellte sich heraus, dass Kreislauferkrankungen bei diesen über 60-jährigen Briten häufiger zum Tode führen als Tumorneubildungen (2). Künftige Langzeitpräventions- und Nachsorgekonzepte für ehemalige Tumorpatienten sollten daher das Risiko für Kreislauferkrankungen stärker als bislang berücksichtigen.
Wissenschaftliche Details
Kinder, die heute an Krebs erkranken, haben in Europa inzwischen weitaus höhere Überlebenschancen als Gleichaltrige vor einigen Jahrzehnten (2). Verglichen mit den gesund gebliebenen Mädchen und Jungen ihrer Altersgruppe bleiben sie allerdings nach wie vor gefährdet, vorzeitig, also noch vor ihrem siebzigsten Lebensjahr zu versterben. Eine jetzt im British Medical Journal publizierte Studie beschreibt die tödlichen Spätfolgen von Tumorerkrankungen aus der Kindheit und wie sie sich im Verlaufe von mehr als sechs Jahrzehnten veränderten. Im Fokus stehen dabei 34.489 britische Kinder unter 15 Jahren, die zwischen 1940 und 2006 ihren Krebs um fünf Jahre und mehr überlebt haben. 4.475 Menschen waren aus dieser Gruppe der Langzeitüberlebenden bis zum Februar 2014 verstorben, mehr als die Hälfte von ihnen, 2.626, an Tumorneubildungen. Aus der Untersuchung der zeitlichen Verteilung dieser Todesfälle geht hervor, dass die Zahl der Langzeitüberlebenden von Krebs in der Kindheit in den vergangenen sechs Jahrzehnten kontinuierlich und in Verbindung mit neuen Behandlungsmethoden gewachsen ist. Ein gravierender Fortschritt gelang insbesondere mit der Verbreitung der Chemotherapie in den siebziger Jahren. Wenn aus dem Kreis von Krebs betroffener Kindern vor 1970 lediglich jedes vierte die Diagnose mehr als fünf Jahre überlebte, dann war es nach der Jahrtausendwende schon jedes achte. Dennoch blieben alle von Krebs in der Kindheit Betroffenen einer höheren Gefahr ausgesetzt, vorzeitig zu versterben.
Das Sterberisiko aufgrund von Tumorneubildungen lag bei ihnen 6,3-mal höher und das Sterberisiko aufgrund aller anderen Erkrankungen 2,9-mal höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Überlebende von Tumoren des Nervengewebes (ZNS – primitiver neuroektodermale Tumore) und der Netzhaut (vererbbare Retinoblastome) waren dafür besonders anfällig. In der Gruppe der nicht tumorbedingten Todesursachen entfielen mit Abstand die meisten auf Kreislauferkrankungen, gefolgt von Erkrankungen der Atemwege und der Nerven sowie Infektionskrankheiten. Je länger die Überlebenszeit andauerte, umso so größer ihr Anteil im Verhältnis zu den Tumorneubildungen. So verstarben 41 % der Überlebenden von Krebs in der Kindheit, die 50-59 Jahre alt wurden, an Tumorneubildungen und lediglich 22% an Kreislauferkrankungen. Bei den über 60jährigen kehrte sich das Verhältnis um; 37 % verstarben aufgrund von Kreislauferkrankungen und lediglich 31 % aufgrund von Tumorneubildungen.
Davon ausgehend empfehlen die Studienautoren, in Langzeitpräventions- und Nachsorgekonzepten für ehemalige Tumorpatienten das Risiko für Kreislauferkrankungen stärker als bislang zu berücksichtigen. Die Heilungschancen von Krebs hängen nicht nur von der Art der Tumoren ab, sondern unterscheiden sich auch nach Lebensabschnitten, in denen sich der Tumor manifestiert. Kinder etwa überwinden Leukämien leichter als Jugendliche und Erwachsene (3).
Zum Weiterlesen
(1) Vgl. die Angaben im Deutschen Kinderkrebsregister unter www. www.kinderkrebsregister.de/ und www.gpoh.de
(2) M.M. Fidler et al. (2016): Long term cause specific mortality among 34 489 five year survivors of childhood cancer in Great Britain: population based cohort study. In: British Medical Journal, Vol. 354, i4351. Online unter https://www.bmj.com/content/354/bmj.i4351
(3) A. Trama et al. and the EUROCARE-5 Working Group (2016): Survival of European adolescents and young adults diagnosed with cancer in 2000–07: population-based data from EUROCARE-5. In: The Lancet Oncology, Vol. 17, Nr. 7, S. 896-906. Online unter https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(16)00162-5/fulltext