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Das Herzinfarktrisiko – genetisch vorprogrammiert oder eher durch den Lebensstil beeinflusst (?) [142]

Häufen sich in einer Familie über Generationen hinweg Herzinfarkte, dann werden auch die Nachkommen dafür anfällig sein. Fehlt diese familiäre Vorgeschichte, ist dennoch kaum ein Mensch vor dem Herzinfarkt sicher.Mehr als 50 DNA-Varianten sind bislang gefunden, die ganz unabhängig voneinander auf ein erhöhtes Risiko für koronare Herzerkrankungen hinweisen. Mit Hilfe eines neuen, diese Erbgutabschnitte kombinierenden Risiko-Rechners lässt sich differenziert abschätzen, wie wahrscheinlich ein Herzinfarkt aufgrund des Erbgutmusters ist. Ob sich die Veranlagung durchsetzt, wird durch den Lebensstil mit beeinflusst. Riskante Lebensgewohnheiten wiegen den Vorteil einer geringen erblichen Vorbelastung für den Herzinfarkt nahezu wieder auf. Herzgesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und der Verzicht auf das Rauchen können ein genetisch vorprogrammiertes, hohes Herzinfarktrisiko hingegen fast halbieren. Ein Restrisiko bleibt dennoch bestehen. Das New England Journal of Medicine stellt jetzt neue Details vor, die das Wechselspiel zwischen genetischer Veranlagung und persönlicher Lebensführung bei der Entwicklung von koronaren Herzerkrankungen beschreiben.


Wissenschaftliche Details

Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße führen nach wie vor weltweit am häufigsten zum Tode. Ob nun die familiäre Vorbelastung oder der persönliche Lebensstil entscheidend für den Herztod ist, also letztendlich die Natur oder das Verhalten das Erkrankungsrisiko bestimmt, erörtern jetzt Wissenschaftler vom Massachusetts General Hospital im New England Journal of Medicine mit einem neuen Ansatz (1).
In der Untersuchung sind genetische und Lebensstil-Analysen aus drei einschlägigen prospektiven Kohorten Studien, der Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC) Studie, der Genom Frauen Health Study (WGHS) und der Malmö Diet and Cancer Studie (MDCS) sowie Ergebnisse der BioImage-Querschnittsstudie zur Entwicklung von Arteriosklerose verglichen und gesondert ausgewertet worden [1].

Spielarten in der genetischen Veranlagung

50 Erbgutvarianten, die sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) sind inzwischen bekannt, die unabhängig voneinander auf eine Anfälligkeit für die Angina pectoris und den Herzinfarkt hinweisen. Der eigens in Massachusetts entwickelter Risiko-Score führt diese zusammen und hat es ermöglicht, das genetische Material aus den ARIC, WGHS und MDCS-Studien spezifischer einzuordnen.
Die Ergebnisse bestätigten den engen Zusammenhang zwischen einer genetischen Vorbelastung und dem Risiko für koronare Herzerkrankungen. So traten die Durchblutungsstörungen der Herzgefäße und ihre Folgen bei Studienteilnehmern mit dem ungünstigsten genetischen Risikoprofil im Verlaufe einer 20jährigen Beobachtungszeit bis zu 91 % häufiger auf als bei den Trägern der günstigsten Genvarianten. Je problematischer das genetische Risikoprofil, umso höher fielen auch die Blutfettwerte für das Low-Density-Lipoprotein (LDL)-Cholesterin aus.

Herzschonende und herzbelastende Lebensführung

Inwieweit durch die Lebensführung abgeschwächt oder auch verstärkt werden kann, was durch das Erbgut scheinbar unausweichlich vorgezeichnet ist, ergibt sich aus dem Vergleich von Effekten eines herzschonenden und eines herzstrapazierenden Lebensstils. Vier Lebensstilfaktoren sind berücksichtigt, um das herzgesunde Verhalten rechnerisch zu erfassen; der Verzicht auf das Rauchen, ein Body-Mass-Index von weniger als 30 kg/m2, mindestens einmal wöchentlich körperliche Bewegung und eine gesunde Ernährung. Zur gesunden Ernährung zählt in Anlehnung an die Vorgaben der American Heart Assoziation der reichhaltige Verzehr an Früchten, Nüssen, Gemüse, Fisch, Vollkorn- und Milchprodukten sowie ein reduzierter Verbrauch an raffiniertem Getreide, verarbeitetem Fleisch, unverarbeitetem rotem Fleisch, zuckergesüßten Getränken, Transfetten und auch Salz. Jeder der vier gesunden Lebensstilfaktoren ging mit einem verminderten Risiko für koronare Erkrankungen einher.
Herzschonend lebt, wer wenigstens drei der vier Faktoren vorweisen konnte, ambivalent, wer lediglich zwei nachwies und herzbelastend, wer drei oder gleich alle vier Faktoren außer Acht ließ. Teilnehmer, deren genetisches Profil auf ein Herzinfarktrisiko hinwies, konnten diese  Gefährdung, so hoch oder niedrig sie auch ausfiel, durch eine herzschonende Lebensweise im Schnitt nahezu halbieren. Am meisten profitierten die Träger eines problematischen genetischen 10-Jahres-Risikoprofils von der gesunden Lebensführung. US-Amerikaner europäischer und afrikanischer Herkunft im Alter von 45 bis 64 Jahren aus der ARIC-Studie reduzierten so ihre Gefährdung für koronare Herzerkrankungen von 10,7 auf 5,1 Prozent. Bei Amerikanerinnen im Alter über 45 Jahre aus der WGHS-Studie sank das Risiko von 4,6 auf 2,0 Prozent und bei den schwedischen Frauen und Männer im Alter von 44 bis 73 Jahren kam es zu einem Rückgang von 8,2 auf 5,3 Prozent.

Ein ungünstiger Lebensstil hat die Vorteile aus einer geringen erblichen Vorbelastung für Herzerkrankungen hingegen reduziert. Wer rauchte, ungesund aß, sich kaum bewegte und Übergewicht ansammelte, erkrankte häufiger an Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und an Typ-2-Diabetes und steigerte zudem sein 10-Jahresrisiko für koronare Erkrankungen in der ARIC-Gruppe von 3,1 auf 5,8 Prozent, in der WGHS-Gruppe von 1,2 auf 1,8 Prozent und in der MDCS-Gruppe  von 2,6 auf 4,7 Prozent.

Querschnittsanalysen der Biomage-Studie, die Veränderungen in der Arterienverkalkung bei 4.260 US-Amerikanern europäischer Herkunft mit Hilfe der Computertomographie registriert, ergaben ein ähnliches Bild. Sowohl genetische und als auch Lebensstil-Faktoren beeinflussten unabhängig voneinander mit, wie dicht die Koronararterien verkalkten. Bei Vertreter der herzschonenden Lebensweise wurden im Schnitt 28 Agatston-Verkalkungseinheiten gemessen; der ungünstige Lebensstil schlug hingegen mit 46 Agatston-Einheiten zu Buche, das heißt ebenso viele, wie bei den Teilnehmern mit hohem genetischem Risiko  ermittelt wurden. Träger des niedrigsten genetischen Risikoprofils wiesen mit durchschnittlich 21 Agatston-Einheiten auch die geringste Arterienverkalkung auf. Da koronare Herzerkrankungen im Wesentlichen auf Arteriosklerose zurückgeführt werden, gilt die Dichte der Verkalkung der Herzkranzgefäße als ein Marker für Belastungen, denen ein Herz ausgesetzt ist.

Mehr als 50.000 Teilnehmer aus drei prospektiven Kohorten und einer Querschnittsstudie profitierten von einem herzgesunden Lebensstil, egal wie hoch oder niedrig das genetische Risiko für die koronare Herzerkrankungen im Einzelnen ausfiel.
Davon ausgehend unterstützen die Experten eine Gesundheitspolitik, die eine gesunde Lebensführung für alle und nicht lediglich für Hochrisikogruppen befürwortet, um letztendlich dem Herzinfarkt präventiv begegnen zu können.
Eine noch so gesundsheitsbewusst-disziplinierte Lebensführung allein kann den Herzinfarkt nicht ausschließen, zumal genetische Faktoren auch unabhängig vom Verhalten mit beeinflussen, wie anfällig ein Mensch mittleren Alters für koronare Herzerkrankungen ist.
Wirksame Präventionskonzepte werden ebenso vielschichtig und komplex sein wie die Ursachen, die Arteriosklerose und den Herzinfarkt bedingen.


Zum Weiterlesen

(1) A. V. Khera et al. (2016): Genetic Risk, Adherence to a Healthy Lifestyle, and Coronary Disease. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 375, S. 2349-2358. Online unter http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1605086#t=article. Die Publikation enthält einen umfangreichen Anhang, abrufbar über http://www.nejm.org/doi/suppl/10.1056/NEJMoa1605086/suppl_file/nejmoa1605086_appendix.pdf

[1] Die Analysen stützen sich auf Datensätze von 7.814 weißen Teilnehmer aus der ARIC-Kohorte, von 21.222 weißen Frauen aus der WGHS Kohorte und von 22.389 Teilnehmern aus MDCS-Kohorte. Primäre Endpunkte für diese prospektiven Erhebungen waren koronare Herzkrankheiten, einschließlich Myokardinfarkt, die koronare Revaskularisierung und der Tod aus koronaren Ursachen. In der ARIC-Gruppe sind über rund 20 Jahre hinweg 1.230 koronare Ereignisse registriert worden, in der WGHS-Gruppe 971 und in der MDCS-Gruppe 2.902.

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