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Armut schwächt das Herz [217]

Ärmere Briten erkranken deutlich häufiger und im Schnitt 3,5 Jahre früher im Leben an Herzschwäche als Wohlhabende, berichten Wissenschaftler jetzt im Journal The Lancet (1). Diese Kluft vergrößert sich tendenziell immer mehr.

In Großbritannien sind rund eine Million Menschen von Herzschwäche betroffen, in Deutschland sogar 1,8 Millionen (2). Herzschwäche kommt überwiegend im höheren Alter vor und lässt sich dann nur schwer behandeln. Herzschwäche wird auch als Herzinsuffizienz bezeichnet und bedeutet, dass das Herz nur noch eine verminderte Pumpleistung hat, was den Blutfluss beeinträchtigen und zu Wassereinlagerungen oder zu einer unzureichenden Blutversorgung im Körper führen kann.

Betroffene haben meist eine ungünstigere Lebensprognose als Tumorpatienten. Prävention kann helfen, die nahezu unheilbare Erkrankung zu vermeiden. Ein Ansatz hierfür sind die regionalen und sozial-ökonomischen Besonderheiten, mit denen die Herzpatienten leben, so die Einschätzung der Studienautoren von der Universität Oxford.


Wissenschaftliche Details

Rund vier Millionen elektronische Patientenakten aus allen Teilen Großbritanniens hat ein Team vom George Institute for Global Health in Oxford ausgewertet, um regionale Muster zu beschreiben, nach denen sich Herzinsuffizienzen landesweit häufen. Jetzt im Journal The Lancet vorgestellt, bestätigen diese Ergebnisse die Dringlichkeit, Anstrengungen in der Prävention zu verstärken.

Die Analysen zeigen, dass im Jahr 2014 fast eine Million Briten von einer Herzinsuffizienz betroffen waren. Das sind mehr Erkrankte als an Brust-, Darm-, Lungen- und Prostatakrebs zusammengenommen. Die Anzahl diagnostizierter Herzinsuffizienzen ist zwischen 2002 und 2014 insgesamt um knapp ein Viertel angestiegen. Dies ist unter anderem auf die steigende Anzahl älterer Briten infolge steigender Lebenserwartung und die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration zurückzuführen. Außerdem überleben Patienten den Infarkt viel häufiger als noch vor einigen Jahren, wobei Spätfolgen das Herz dennoch nachhaltig schwächen.

Diese Datenlage ist mit Deutschland vergleichbar, wo Herzschwäche die häufigste Ursache für stationäre Krankenhausaufenthalte ist. Die Zahl an Herzinsuffizienz erkrankter Menschen steigt seit Jahren an. Erfreulicherweise zeigt die Sterbestatistik jedoch eine gegensätzliche Entwicklung: Therapeutische Fortschritte bewirken deutliche lebensverlängernde Effekte bei der Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz.

In der untersuchten Studienpopulation verteilten sich die von Herzinsuffizienz Betroffenen wie erwartet regional unterschiedlich (3). Die Autoren ermittelten insbesondere einen engen Zusammenhang zwischen dem Risiko für Herzschwäche und der prekären sozialökonomischen Situation der Betroffenen, letztere gemessen am Deprivation – Index‘ (IMD). Einkommen, Beschäftigung, Ausbildung, Hausbesitz, Gesundheitsversorgung, Kriminalität und die erreichbare Infrastruktur bilden den IMD – Score, welcher zur Bewertung einer Lebenssituation in Armut oder in Wohlhaben angelegt wird.

Ein Abgleich zwischen den ärmsten und den wohlhabendsten Briten einer Region ergab, dass die sozial am schlechtesten gestellten Personen um bis zu 61 % gefährdeter waren, an Herzschwäche zu leiden als diejenigen mit den geringsten sozial-ökonomischen Einschränkungen. Ärmere Briten erkrankten zudem nicht nur häufiger, sondern im Schnitt auch 3,5 Jahre früher an einer Herzinsuffizienz.

Ergänzend dokumentiert die Studie einen signifikanten Anstieg von Begleiterkrankungen. So ist im Beobachtungszeitraum zwischen 2002 und 2014 der Anteil der Herzpatienten mit drei oder mehr zusätzlichen Erkrankungen um rund ein Fünftel, also von 68 auf 87 % angewachsen. Besonders nicht-kardiovaskuläre Krankheiten wie unter anderem Anämien, Dyslipidämien und Osteoarthritis haben zur Multimorbitität beigetragen, wie es die nachfolgende Grafik illustriert (1):

Für die Wissenschaftler aus Oxford ergibt sich daraus ein doppelter Handlungsbedarf in der Prävention von Herzinsuffizienzen, da nicht nur die Zahl der Patienten mit Herzschwäche zunimmt, sondern ihre Betreuung auch komplexer und aufwendiger wird.

Auch in Deutschland steigt das Risiko für eine Herzinsuffizienz mit zunehmenden Alter (4). Zudem leiden mehr als 90 % der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz an mindestens einer weiteren, nicht-kardialen Komorbidität (5). Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie mindestens in Teilen auf die deutsche Bevölkerung übertragbar sind. Es gilt nun, die Schlussfolgerungen der Studienautoren durch europaweite Studien zu verifizieren und praktische Handlungsempfehlungen zur Therapie einer Herzinsuffizienz unter Berücksichtigung einer Multimorbidität abzuleiten. Trotz der deutlichen Unterschiede in der Bevölkerung und den Lebensgewohnheiten zwischen Deutschland und Großbritannien ist der Einfluss sozio-ökonomischer Faktoren auf das Erkrankungsrisiko deutlich und bemerkenswert. Studien, die den Zusammenhang zwischen Armut und Herzinsuffizienz in Deutschland untersuchen, stehen allerdings noch aus.


Zum Weiterlesen

(1) Conrad et al. (2018): Temporal trends and patterns in heart failure incidence: a population-based study of 4 million individuals. In: The Lancet, Vol. 391, S. 572-580. Online unter http://www.thelancet.com/pdfs/journals/lancet/PIIS0140-6736(17)32520-5.pdf

(2) Deutsche Herzstiftung (2017): Was genau ist eigentlich eine Herzinsuffizienz? Online unter http://www.herzstiftung.de/herzinsuffizienz.html

(3) T. Callender et al. (2014): Heart failure care in low- and middle-income countries: a systematic review and meta-analysis. In: PLoS Medicine, Vol. 11, Nr. 8, e1001699. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25117081

(4) Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2017): Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz. Langfassung. 2. Auflage, Version 3. Online unter https://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/herzinsuffizienz/herzinsuffizienz-2aufl-vers3-lang.pdf

(5) Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (2017): S3-Leitlinie Multimorbidität. Online unter http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-047l_S3_Multimorbiditaet_2018-01.pdf

 

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