In Framingham bei Boston erkranken über 60 Jahre alte Einwohner seit den späten 70er Jahren überraschend weniger häufig an Demenzen. Der Abbau geistiger Fähigkeiten vor allem aufgrund von Durchblutungsstörungen in kleinen Gefäßen im Gehirn verzögerte sich kontinuierlich und trat pro Jahrzehnt um durchschnittlich 20 Prozent weniger häufig auf. Bostoner Sozialmediziner bewerten diese Entwicklung in der Bevölkerungsgruppe aus Framingham optimistisch, denn nur „Steuern und der Tod seien unvermeidbar, Demenzen sind es nicht“. Tatsächlich scheint sich der Zusammenhang zwischen einem höheren Bildungsniveau und einem verminderten Risiko für Demenzerkrankungen zu bestätigen. Ausschließlich bei Personen mit Hochschulbildung wird die Diagnose Demenz seltener und auch später im Leben diagnostiziert. Wissenschaftler führen die aufgrund höherer Bildung erzielte Schutzwirkung nicht hauptsächlich auf das Training geistiger Fähigkeiten im Alter zurück, sondern auf eine aktiv gesundheitsförderliche Lebensführung. So sei die Minderung des Demenzrisikos letztendlich aus der bewussten Vermeidung von Rauchen, Bluthochdruck und hohen Cholesterinwerten, also von Faktoren, die Herz und Hirn übermäßig strapazieren, ableitbar.
Wissenschaftliche Details
In der Framingham Heart Study (FHS) wird seit den späten 1970er Jahren überraschend eine kontinuierlich abnehmende Häufigkeit von Demenzerkrankungen beobachtet. Um rund ein Fünftel pro Dekade sank das Risiko vor allem für vaskuläre Demenzen bei den über 60-Jährigen. Doch nur Personen mit Hochschulreife profitierten von dieser günstigen Entwicklung. Neurologen von der Boston University School of Medicine beschreiben diesen Trend jetzt im New England Journal of Medicine und schließen daraus zweierlei: Prävention kann den Beginn von Demenzerkrankungen verzögern und ein höheres Bildungsniveau wird diesen Prozess maßgeblich günstig beeinflussen (1).
Die Framingham Heart Study ist eine bevölkerungsbasierte Kohorten-Studie, die 1948 mit 5.209 Einwohnern des Ortes Framingham bei Boston begonnen worden ist und in die nunmehr auch deren Kinder und Enkel mit einbezogen sind. Seit 1975 werden die Teilnehmer regelmäßig auch neuropsychologisch untersucht. Ein Bostoner Forscherteam um Sudha Satizabal untersuchte Daten von 5.205 über 60-jährigen Probanden aus der Framingham-Kohorte, um nach Gründen für die Veränderungen im Auftreten von Demenzen zu suchen. In einem Vergleich der Demenzhäufigkeit von 371 Fällen innerhalb von vier Intervallen, um 1980, um 1990, um 2000 und um 2010 fiel auf, dass die Erkrankung über die Jahre hinweg bis zu fünf Jahre später im Leben diagnostiziert wurde. Auch sank das durchschnittliche Risiko, an einer Demenz zu leiden, in knapp vierzig Jahren Beobachtungszeit um rund 20 Prozente pro Dekade. Verglichen mit der Phase um 1980 erkrankten ein Jahrzehnt später 22 Prozent weniger Menschen an einer Altersdemenz, um 2000 waren es 38 Prozent weniger und um 2010 sogar 44 Prozent weniger als um 1980. Für vaskuläre Demenzen sank das Risiko dabei deutlich stärker als für die Alzheimer Erkrankung. Die Studienautoren zogen die Belastungen durch vaskuläre Risikofaktoren wie Blutdruck, Body-Maß-Index, Rauchen, Diabetes mellitus, Lipidspiegel, Apolipoprotein-E-Status, Medikamenten-Verbrauch und klinische kardiovaskuläre Ereignisse in Betracht, um diese rückläufige Tendenz für Demenzneuerkrankungen zu erklären.
Sie stellten dabei fest, dass sich der kardiovaskuläre Gesundheitsstatus der Studienteilnehmer im Verlaufe der Jahrzehnte insgesamt besserte, die Fälle von Fettsucht und Typ II Diabetes sind davon allerdings ausgenommen. Zudem sank das mit Schlaganfall, Vorhofflimmern oder Herzversagen verbundene Demenzrisiko. Doch all diese positiven Effekte erklärten die Minderung des Demenzrisikos nicht ausreichend. Denn: Ausschließlich bei den Studienteilnehmern, die über einen High-School-Abschluss und mehr verfügten, sank das Demenzrisiko und verbesserte sich parallel dazu auch die kardiovaskuläre Gesundheit spürbar.
Die Schutzwirkung aufgrund von höherer Bildung führten die Wissenschaftler nicht primär auf die Belebung von kognitiven Reserven im Alter zurück, sondern auf eine damit verbundene gesundheitsförderliche Lebensführung. So sei die Minderung des Demenzrisikos letztendlich aus der bewussten Vermeidung von (kardio)vaskulären Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck und hohen Cholesterinwerten ableitbar.
Ungeachtet dieser positiven Entwicklung in der Framingham-Kohorte wird, nach Ansicht der Studienautoren, die Häufigkeit von Demenzerkrankungen derzeit weltweit auch weiterhin genauso zunehmen wie die durchschnittliche Lebenserwartung wächst. Die Prognose betreffe vor allem die Gruppe der wirtschaftlich Schwächsten, also die meisten älteren Menschen in Ländern mit hohem Einkommen und vor allem Menschen, die in ärmeren Ländern leben, wo die durchschnittliche Lebenserwartung und die Last der vaskulären Risikofaktoren derzeit am schnellsten zunehmen. Weltweit sind derzeit nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 47,5 Millionen Menschen von Demenzen betroffen; im Jahr 2030 sollen es voraussichtlich 75,6 Millionen sein.
Doch, so der fast lakonisch anmutende Kommentar von Bostoner Sozialmedizinern mit Blick auf das präventive Potential von höherer Bildung, diese Krankheitslast ist formbar: Nur Steuern und der Tod seien unvermeidbar, Demenzen sind es nicht (2;3).Die Ergebnisse aus der Framingham-Studie sollten wissenschaftliche Förderorganisationen ermutigen, Programme zu initiieren, um demografische Lebensstil- und Umweltfaktoren auszumachen, die das Demenzrisiko präventiv begrenzen helfen.
Zum Weiterlesen
(1) C.L. Satizabal et al. (2016): Incidence of Dementia over Three Decades in the Framingham Heart Study. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 374, S. 523-532. Online unter www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1504327
(2) D.S. Jones, J.A. Greene (2016): Is Dementia in Decline? Historical Trends and Future Trajectories. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 374, S. 507-509. Online unter https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMp1514434?url_ver=Z39.88-2003&rfr_id=ori:rid:crossref.org&rfr_dat=cr_pub%3dwww.ncbi.nlm.nih.gov
(3) Boston University Public Relations (2016): New Study Reveals Incidence of Dementia May be Declining. Presseerklärung. Online unter www.bu.edu/news/2016/02/10/new-study-reveals-incidence-of-dementia-may-be-declining/