fbpx

Unterernährung und Fettsucht als koexistierende Herausforderung [95]

Jährlich sterben knapp zwei Drittel aller Menschen, rund 38 Millionen,  weltweit an den Folgen von Herz-Kreislauf- und chronischen Lungenerkrankungen, Diabetes und Krebs. Mindestens 42 % dieser Sterbefälle sind jedoch durch Prävention und Lebensstiländerungen vermeidbar. Dies geht aus dem jetzt von der WHO veröffentlichten Globalen Sachstandsbericht 2014 zur Problematik der nichtübertragbaren Krankheiten hervor (1). Die WHO mahnt ihre Mitgliedsstaaten, wirksame Maßnahmen zur Senkung der Erkrankungsrisiken in Kraft zu setzen, auch um das angestrebte Ziel tatsächlich zu erreichen, bis zum Jahr 2025 die nichtübertragbaren Krankheiten um ein Viertel zu reduzieren (2). Ein Pauschalkonzept für alle gibt es nicht, gefragt sind vor allem preiswerte Lösungsansätze. Lediglich zusätzliche Investitionen in Höhe von nur 1 bis 3 US-$ pro Kopf jährlich werden veranschlagt, um die Krankheitslast, wie geplant, zu mindern. Gerade in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen wachsen die Fallzahlen für nichtübertragbare  Krankheiten überdurchschnittlich schnell. Fast drei Viertel aller durch sie bedingten Todesfälle, d.h. 28 Millionen, treten in Schwellen- und Entwicklungsländern auf; der überwiegende Teil davon vorzeitig, also noch vor dem 70. Lebensjahr. Experten bezweifeln schon seit längerem, dass ausreichende nationale Programme entwickelt sind, um diese Entwicklung stoppen zu können (3).

Der Schwerpunkt der Gesundheitspolitik und der internationalen Hilfen für die ärmeren Regionen lag über Jahrzehnte hinweg auf der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und der durch sie auch bedingten Unterernährung – mit Erfolg. Statistiken zeigen, dass die Last der infektionsbedingten Krankheiten weltweit ebenso rückläufig ist wie die Zahl der unterernährten Menschen (4), allerdings bei einem nach wie vor sehr hohen Sockel in geografisch schwer zugänglichen Regionen und in Krisengebieten.

In den meisten Regionen der Erde, die über Jahrzehnte von extremer Unterernährung geprägt waren, stehen nun mit zunehmendem materiellem Wohlstand zumindest quantitativ mehr Lebensmittel zur Verfügung. Infolge dessen verändern sich auch die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten. Dieser spezifische Trend wird mit dem Fachbegriff des Ernährungsüberganges (nutrition transistion), d.h. mit einer Verschiebung der Energiebilanz in der Ernährung umschrieben (5). Bewegungsmangel prägt zunehmend den Arbeitsalltag und nach dem Vorbild von Industrienationen wird die traditionelle Kost einseitig ersetzt durch kohlenhydrat- und fetthaltige Speisen sowie durch stark verarbeitete, tierische Lebensmittel. Die Folgen sind schon allein optisch sichtbar an der rasant zunehmenden Zahl fettleibiger Menschen vor allem in den Städten von Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Risiko, an nichtübertragbaren Erkrankungen infolge von Fettleibigkeit zu sterben, ist für Menschen, die in ihrer frühen Kindheit einem extremen Nahrungsmangel ausgesetzt waren, besonders hoch. Dieser Zusammenhang spielt in den betroffenen Staaten gesundheitspolitisch nur eine untergeordnete Rolle, weil traditionell Unterernährung und nichtübertragbare Krankheiten getrennt betrachtet werden.

Ob das Engagement in  Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen ausreicht, um der Doppelbelastung der Folgen durch Mangelernährung, bedingt durch die  Koexistenz von Unterernährung und Fettsucht, wirksam begegnen zu können, prüfte eine Gruppe von Wissenschaftlern um Bruno Sunguya in Tokyo (6).

Der Ernährungsstatus und die Gesundheitspolitik von 139 Staaten mit mittleren (n=103) und niedrigen (n=36) Einkommen sind dabei in die Analyse einbezogen.

Die Auswertung eines Datenpools u.a. von der Weltbank ergibt ein anschauliches Bild von der Koexistenz von Unterernährung und Übergewicht auf den Kontinenten im Vergleich, das hier in einer Tabelle zusammengestellt ist:

Region Countries n (%) Stunting % Wasting % Underweight % Overweight % Nutrition policy undernutrition Nutrition policy overweight
South Asia 8 (5.8) 38.2 12.3 28.2 3.9 8 (100.0) 3 (37.5)
Eastern Europe & Central Asia 20 (14.3) 14.6 4.0 4.0 14.2 7 (35.0) 9 (45.0)
Middle East and North Africa 13 (9.4) 22.0 7.6 10.3 12.2 8 (61.5) 5 (38.5)
East Asia and Pacific 24 (17.3) 27.1 6.9 15.2 5.9 16 (66.7) 12 (50.0)
Sub Saharan Africa 47 (33.8) 35.4 8.9 19.5 6.3 38 (80.9) 22 (46.8)
Latin America and Caribbean 27 (19.4) 18.4 2.6 5.3 7.2 19 (70.4) 12 (44.4)
Total (%) 139 (100.0) 27.0 6.8 13.8 7.8 96 (69.1) 63 (45.3)

 

Im Ergebnis der Untersuchung konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Ernährungspolitik gegen Unterernährung oder gegen Übergewicht und der verminderten Last der durch Mangelernährung bedingten Erkrankungen ermittelt werden. Politik allein, so die Wissenschaftler, reiche nicht aus, um den gesundheitspolitischen Herausforderungen begegnen zu können. Alternativ schlagen sie einen Lösungsansatz auf der Grundlage des Stewardship-Prinzips vor, der die Interessen aller für Ressourcen Verantwortlichen eines Landes in Eigenverantwortung zusammenführt.

Zum Weiterlesen:

  1. WHO. Global status report on noncommunicable diseases 2014. Abrufbar über den link: http://www.who.int/nmh/publications/ncd-status-report-2014/en/
  2. Der Aktionsplan der WHO zur Reduktion nichtübertragbarer Krankheiten aus dem Jahr 2011 enthält neun Ziele: Ziel 1 ist eine 25-prozentige Reduktion der vorzeitigen Todesfälle an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes oder chronische Atemwegserkrankungen. Ziel 2 ist eine Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums gegebenenfalls im nationalen Kontext um mindestens 10 Prozent. Ziel 3 fordert eine Senkung der Prävalenz von Bewegungsmangel um 10 Prozent. Ziel 4 sieht vor, dass die Bevölkerung die Aufnahme von Salz oder Natrium um 30 Prozent senkt. Ziel 5 strebt eine Verringerung in der Zahl der Raucher um relativ 30 Prozent an. Ziel 6 will die Zahl der unbehandelten Hypertonie um 30 Prozent senken. Ziel 7 ist ein Stopp des derzeitigen Anstiegs von Diabetes und Übergewicht Ziel 8 fordert, dass mindestens die Hälfte aller Menschen Medikamente und Beratung zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen erhalten (blutzuckersenkende Medikamente eingeschlossen). Ziel 9 sieht vor, dass mindestens 80 Prozent aller öffentlichen und privaten medizinischen Einrichtungen mit Basistechnologien und lebenswichtigen Medikamenten, einschließlich von Generika, ausgestattet sind, um NCD behandeln zu können. Vgl. dazu WHO. Global action plan for the prevention and control of NCDs 2013-2020. Abrufbar unter http://www.who.int/nmh/ncd-tools/definition-targets/en/
  3. Exemplarisch dazu länderspezifische Fallstudien: Chaparro MP1, Estrada L.Mapping the nutrition transition in Peru: evidence for decentralized nutrition policies. Rev Panam Salud Publica. 2012 Sep;3 2(3):241-4 und Khan S. et al. Nutrition transition in Bangladesh: is the country ready for this double burden. Obes Rev 2013, 14(Suppl 2):126-133.
  4. Asmann-Stiftung für Prävention. Ernährungsbedingte Krankheiten inmitten von globalen, regionalen und nationalen Trends für 240 Todesursachen im Global Burden of Disease (GBD) 2014 [94]. Abrufbar über den link: https://www.assmann-stiftung.de/ernaehrungsbedingte-krankheiten-inmitten-von-globalen-regionalen-und-nationalen-trends-fuer-240-todesursachen-im-global-burden-of-disease-gbd-2014-94/ und
  5. Welthunger-Index (WHI) 2014 lenkt die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Ausmaß des verborgenen Hungers (hidden hunger) [91]. Abrufbar über den link: https://www.assmann-stiftung.de/welthunger-index-whi-2014-lenkt-die-aufmerksamkeit-der-weltoeffentlichkeit-auf-das-ausmass-des-verborgenen-hungers-hidden-hunger-91/
  6. Popkin BM, Adair LS, Ng SW. Global nutrition transition and the pandemic of obesity in developing countries. Nutr Rev. 2012 Jan; 70(1):3-21. doi: 10.1111/j.1753-4887.2011.00456.x.
  7. Sunguya B.F. et al. Strong nutrition governance is a key to addressing nutrition transition in low and middle-income countries: review of countries’ nutrition policies. Nutrition Journal 2014, 13:65  doi:10.1186/1475-2891-13-65

Comments are closed.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Unsere Webseite nutzt Cookies. Wenn Sie auf dieser Webseite bleiben, nehmen wir an, dass Sie damit einverstanden sind. Sie können unsere Cookies löschen. Wie das geht, erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Schließen