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Lebenslang praktizierte Zweisprachigkeit könnte die Alzheimer-Demenz verzögern [150]

Wer mehrsprachig aufwächst und auch später die früh erlernten Sprachen (ge)braucht, entwickelt Reserven im Gehirn, die den geistigen Verfall infolge einer Alzheimer-Demenz hinauszögern helfen. Ein Beleg hierfür fanden Wissenschaftler in Südtirol.

In Bozen traten krankheitsbedingte Einschränkungen bei deutsch- und italienisch sprechenden Risiko-Patienten für die Alzheimer-Demenz bis zu 4,5 Jahre später auf als bei ihren einsprachigen Leidensgefährten mit gleich ungünstiger Prognose. Die mehrsprachigen Südtiroler blieben sogar unabhängig von ihrer Schulbildung, vom erlernten Beruf oder auch vom Geschlecht geistig länger fitter. Entscheidend jedoch war, dass beide Sprachen im Wechsel und bis ins hohe Alter tatsächlich gesprochen wurden.

Experten vermuten, dass nur die lebenslang gelebte Mehrsprachigkeit ein Hirnpotential ausbaut, das Ausfälle von Nervenzellen über einen gewissen Zeitraum kompensieren und dadurch den spürbaren Beginn der Alzheimer-Demenz bremsen kann. Die gezielte Förderung einer zweisprachigen Kindheit und des Sprachentrainings für Ältere bieten sich an, um der Alzheimer-Erkrankung, die immer noch unheilbar ist, aktiv und wirksam präventiv entgegen treten zu können.


Wissenschaftliche Details

Im Verlaufe der Alzheimer-Erkrankung gehen Nervenzellen und Nervenzellkontakte langsam und unumkehrbar verloren. Experten konzentrieren sich darauf, Mittel und Wege zu finden, diesen Prozess wenigstens zu verlangsamen. Ein geeigneter Ansatz besteht im frühzeitigen Training von Hirnaktivitäten, die die geistige Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten und unterstützen können. Gelebte Mehrsprachigkeit gehört zu diesen hilfreichen Techniken.

Wissenschaftler von der San Raffaele Universität in Mailand bestätigten jetzt die Vermutung, dass Mehrsprachigkeit  hilft, beginnende funktionelle Einschränkungen aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung hinauszuzögern (1).
Die Einschätzung beruhte auf dem Vergleich der Hirnleistung von 45 deutsch- und italienischsprechenden und 40 einsprachigen Risiko-Patienten mit Alzheimer-Prognose aus Bozen. In kognitiven Tests, die sowohl das Langzeit- als auch das Kurzzeitgedächtnis forderten,  schnitt die mehrsprachige Gruppe deutlich besser ab: Sie löste visuell-räumliche Aufgaben schneller und präziser, obgleich die deutsch- und zugleich italienischsprechenden Südtiroler im Schnitt fünf Jahre älter als die einsprachigen Landsleute waren und über eine schlechtere Schulbildung verfügten.
Messungen der Stoffwechselaktivität im Hippocampus mit Hilfe der Positronenemissionstomographie (PET) belegten das ausgeprägtere geistige Potential der Zweisprachler im Bild.  Das PET registrierte bei ihnen einen regeren Hirnstoffwechsel, eine dichtere Verknüpfung der Nervenzellen und eine dickere graue und weiße Hirnsubstanz in den für Sprache und Gedächtnis wichtigen Bereichen. Alle drei hirnschützenden Merkmale waren ausgeprägter, je länger im Leben beide Sprachen im Wechsel gesprochen wurden.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die gelebte Mehrsprachigkeit hilft, im Hirn eine Reserve von neuronalen Netzen zu bilden und aufrecht zu erhalten, die den Ausfall von Nervenzellen eine zeitlang kompensieren und den Funktionsausfall so temporär überbrücken kann. Rund 4,5 Jahre gewannen die deutsch- und italienisch sprechenden Südtiroler im Unterschied zu ihren einsprachigen Leidensgefährten, deren Einschränkungen aufgrund der Alzheimer-Erkrankungen früher sichtbar wurden. Trainings der Mehrsprachigkeit von älteren Menschen und die Förderung von Zweisprachigkeit von frühster Kindheit an könnten helfen, dem nahezu unabwendbaren Zerfall von Nervenfunktionen bei einer Alzheimer-Demenz aktiv zu begegnen.


Zum Weiterlesen

(1) D. Peranie et al. (2017): The impact of bilingualism on brain reserve and metabolic connectivity in Alzheimer’s dementia. In: Proceedings of the National Academy of Science in the United States of America, Vol. 114, Nr. 7, S. 1690-1695. Online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28137833

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