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Der Body-Mass-Index als möglicher Indikator für das Risiko, an einer von 22 möglichen Krebsarten zu erkranken [86]

Ergebnisse einer sehr umfangreichen, bevölkerungsbasierten Kohorten-Studie aus Großbritannien

Inzwischen ist es in der Medizin etabliert, bei Personen mit Übergewicht auch von einem erhöhten Risiko für die koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfall, Dyslipidämie oder Arthrose auszugehen. Inwieweit der Body-Mass-Index (BMI) als gängiges Maß für Übergewicht auch die Häufigkeit anzeigen könnte, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, wird erst seit einem Jahrzehnt verstärkt erforscht und ist jetzt Gegenstand einer der größten bevölkerungsbasierten Kohorten-Studien zu diesem Thema (1).

Daten von 5,24 Millionen Menschen im Alter von 16 Jahren und älter bilden die Grundlage der Studienanalyse. Die Parameter sind der britischen Datenbank für niedergelassene Ärzte, der Clinical Practice Research Datalink (CPRD) entnommen und geben u.a. Auskunft zum Alter, Geschlecht, Gewicht, den Umgang mit Tabak und Alkohol sowie über mögliche Diabetesvorerkrankungen.

Aus der Gruppe der Studienteilnehmer entwickelten innerhalb des Untersuchungszeitraumes von durchschnittlich 7,5 Jahren 166.955 Personen Krebs. Für 17 von 22 in Großbritannien am häufigsten verbreiteten Krebsarten fanden die Forscher eine Verbindung zum BMI der Patienten. Abhängig von der Krebsart fällt der Zusammenhang zwischen dem Krebsrisiko und dem Körpergewicht sehr unterschiedlich aus und erlaubt noch keine abschließende Klassifizierung. Der BMI kann Anzeichen sowohl für ein hohes, als auch für ein niedriges Krebsrisiko sein:

Mit zunehmendem Gewicht steigt das Risiko für Krebs der Gebärmutter (62 Prozent Erhöhung) linear am stärksten, gefolgt vom Krebsrisiko der Gallenblase (31 Prozent) und der Niere (25 %). Ein höheres Körpergewicht vergrößert ebenso die Gefahr für Krebs des Gebärmutterhalses (10 %), der Schilddrüse und für Leukämie (jeweils 9 %) (3).

Jedoch wächst das Krebsrisiko nicht für alle Tumorarten stetig mit dem BMI an, sondern verändert sich auch abhängig von den individuellen Merkmalen der Betroffenen und kann sogar bei hohem Körpergewicht absinken bzw. bei Untergewicht ansteigen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede werden beispielsweise an den Risikoberechnungen für Leberkrebs deutlich: Bei Frauen wächst das Leberkrebsrisiko mit dem Körpergewicht kontinuierlich; Männer hingegen sind bis zu einem BMI von 22 kg/m² einem sinkenden Risiko für Leberkrebs ausgesetzt, ab diesem BMI-Wert einem ansteigenden (4).

Vor allem beim Risiko für überwiegend hormonabhängige Krebsarten stellt der BMI eine bestimmte Zäsur dar. Übergewichtige Männer ab einem BMI von 27 kg/m² sind weniger gefährdet, an Prostatakrebs zu erkranken als Gleichaltrige, die weitaus weniger wiegen. Bei Frauen steigt die Gefahr für prämenopausalen Brustkrebs bis zu einem BMI von 22 kg/m² und bei postmenopausalem Brustkrebs bis zu einem BMI von 29 kg/m² zunächst an, um danach bei höheren BMI-Werten wieder abzusinken.

Erwartungsgemäß unterscheidet sich das spezifische Krebsrisiko von Rauchern und Nichtrauchern. Je mehr Raucher wiegen, desto mehr sinkt das Risiko für Tumoren der Mundhöhle und der Lunge, bei Nichtrauchern hingegen ist mit dem ansteigenden Gewicht keine Veränderung zu beobachten.

Die Heterogenität in der Verbindung zwischen dem BMI und dem Krebsrisiko bestätigt nach Ansicht der Studienautoren den Ansatz, dass je nach Patientengruppe verschiedene Mechanismen bei der Entstehung spezifischer Krebsarten in Betracht gezogen werden sollen (5). Mangels histologischer Befunde konnten im Rahmen der Studie hierzu keine weiterführenden Aussagen getroffen werden. Wissenschaftler diskutieren schon seit geraumer Zeit, ob sich die jetzt gängige Nennung von Tumoren nach den befallenen Organen nicht ersetzen lässt durch eine Klassifikation nach molekularen Eigenschaften der tumoraktiven Zellen. Blasenkrebs beispielsweise umfasst drei Subtypen, einer davon gleicht im malignen Verhalten der Zellen einer Lungenkrebsart und ein anderer wiederum einer Form von Kopf-Hals-Tumor. Möglicherweise erleichtert ein neues Ordnungssystem der Krebsarten künftig den Zugang zu Faktoren, die Krebs beeinflussen (6).

Ungeachtet der Unterschiede gehen die Studienautoren davon aus, dass schon allein mit dem Körpergewicht ein beeinflussbarer Faktor gegeben sei, um das Risiko von Krebs prinzipiell verändern zu können. Ein bevölkerungsweiter Anstieg des BMI um 1 kg/m² würde hochgerechnet zu jährlich 3.790 zusätzlichen Tumorpatienten in Großbritannien führen, wenn nicht Gegenmaßnahmen zur Verbreitung des Übergewichts getroffen werden. Fachkollegen von der Amerikanischen Krebsgesellschaft Cancer Society unterstützen die Einschätzung der Rolle von Übergewicht bei der Entstehung von Krebs nachdrücklich (7). Auch im Sinne der Krebsvorsorge müsse besondere Aufmerksamkeit der Vermeidung von krankhaftem Übergewicht vor allem bei Kindern zuteilwerden, zumal Übergewicht im Erwachsenenalter oft im Kindesalter begründet wird. Eine simple Metapher soll dies illustrieren; würde Fettsucht erst im späteren Leben beachtet und behandelt, käme dies einem „Aufwischen des Wassers, ohne den Hahn zuzudrehen, gleich“.

Zum Weiterlesen:

(1)   Zur Komplexität der Bewertung des Übergewichts als Risikofaktor vgl. Assmann – Stiftung für Prävention. Übergewicht. Abrufbar unter https://www.assmann-stiftung.de/uebergewicht/ und Übergewicht: ein unabhängiger Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall? [57]. Abrufbar über https://www.assmann-stiftung.de/koerpergewicht-als-unabhaengiger-risikofaktor-fuer-herzinfarkt-und-schlaganfall-57/

(2)   K. Bhaskaran et al. Body mass index and risk of 22 specific cancers: a population-based cohort study of 5.24 million UK adults. In: The Lancet 2014 30. August, 384 (9945): 755-65. doi: 10.1016 / S0140-6736 (14) 60892-8. Epub 2014 13. August.

(3)   Übersicht zur Verteilung des Hazard-Risk für bestimmte Krebsarten Vgl. die Übersicht in Abbildung 2 aus (2)

Krebs des/der Hazard Risk (99% CI) für BMI   je 5 kg/m2
Mundhöhle 0・81 (0・74–0・89)
Speiseröhre 1・03 (0・99–1・08)
Magen 1・03 (0・98–1・09)
Darm 1・10 (1・07–1・13)
Rektum 1・04 (1・00–1・08)
Leber 1・19 (1・12–1・27)
Gallenblase 1・31 (1・12–1・52)
Pankreas 1・05 (1・00–1・10)
Lunge 0・82 (0・81–0・84)
Haut (maligne Melanome) 0・99 (0・96–1・02)
Brust, prämenopausal 0・89 (0・86–0・92)
Brust, postmenopausal 1・05 (1・03–1・07)
Gebärmutterhals 1・10 (1・03–1・17)
Gebärmutter 1・62 (1・56–1・69)
Eierstöcke 1・09 (1・04–1・14)
Prostata 0・98 (0・95–1・00)
Nieren 1・25 (1・17–1・33)
Blase 1・03 (0・99–1・06)
Gehirn 1・04 (0・99–1・10)
Schilddrüse 1・09 (1・00–1・19)
Lymphatischen Systems (maligne Lymphome) 1・03 (0・99–1・06)
Knochenmark 1・03 (0・98–1・09)
Blut (Leukämie) 1・09 (1・05–1・13)

(4)    Vgl. die Übersicht in Abbildung 4 aus (2). Abrufbar über : http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140673614608928/images?imageId=gr4&sectionType=red&hasDownloadImagesLink=true

(5)   Unter dem Titel Krebsfrüherkennung in Deutschland 2014 Evidenz – aktueller Stand – Perspektiven beschreibt die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie neben aktuellen Fallzahlen für Tumorneuerkrankungen in Deutschland auch Ansätze zur Erklärung von verschiedenen Mechanismen für die Entstehung von Krebsarten und ihr Potential für die Primärprävention. Vgl. Gesundheitspolitische Schriften der DGMO. Band 4. Herausgegeben von M. Freund et al. Berlin 2014. Abrufbar über http://www.dgho.de/informationen/gesundheitspolitische-schriftenreihe/140507-Krebsfrueerkennung_in_Deutschland_2014-WEB-FINAL.pdf

(6)   K.A. Hoadley et al. Multiplatform Analysis of 12 Cancer Types Reveals Molecular Classification within and across Tissues of Origin. Cell. Volume 158, Issue 4, p929–944, 14 August 2014. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.cell.2014.06.049

Die Studie ist Teil der The Cancer Genome Atlas-Initiative, die von der US-amerikanischen National Cancer Institute und der US-National Human Genome Research Institute geleitet wird.

(7)   P. Campbell. Obesity: a certain and avoidable cause of cancer. In: The Lancet 2014 30. August, 384 (9945): 755-65 doi:10.1016/S0140-6736(14)61172-7

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